Liebe Sonntagmorgen-Fest-Gemeinde!
Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen? Und wer von Ihnen hat heute Nacht – jetzt wird’s interessant! – etwas … geträumt? … Angenehm oder nicht so angenehm? … Gehören sie zu denen, die sich im Nachhinein gut erinnern an das, was Sie geträumt haben? – Oder erinnern Sie sich nur ganz schwer an einen Traum und seinen Inhalt? Träume sind ja etwas Bemerkenswertes, oder? Weil in ihnen etwas möglich wird, was eigentlich unreal(istisch) ist. In unseren Träumen werden Grenzen verschoben. Die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Zwischen Leben und Tod, Zeit und Ewigkeit oder auch nationale Grenzen … spielen keine Rolle. Ebensowenig Konfession, Religion, Volk, Nation …
Träume begleiten und faszinieren die Menschen seit jeher. Nicht zuletzt, weil in ihnen ja alles Thema werden kann. Und dementsprechend vielfältig werden Träume auch thematisiert. In Kunst, Literatur, Musik und Gesang (Achtung: Schlager!) Das führt mich zu einem besonderen kleinen Lied mit einer anrührenden Melodie, die schon viele Menschen berührt hat. Weil man sie singen oder summen kann – zur Ermutigung, zum Träumen, manchmal auch bei Traurigkeit.
Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück,
und ich träum davon in jedem Augenblick.
Irgendwo auf der Welt gibt’s ein bisschen Seligkeit,
und ich träum davon schon lange, lange Zeit.
Ich verbinde dieses Sehnsuchtslied von Werner Richard Heymann mit den Stimmen und der Geschichte der Comedian Harmonists: 1932 erstmals erklungen, wurden die Sänger des Ensembles von begeisterten Massen umjubelt, von Kritikern gefeiert. Ihr Traum vom Glück schien sich zu erfüllen. Nur ein Jahr später, 1933, sah alles anders aus. Weil 3 der 6 Männer Juden waren … Die weitere Geschichte der C.H. ist bekannt. Auftrittsverbot, Zwangsemigration, Trennung. Das kleine, große Glück zerbrochen beruflich, privat und erst recht im Weltgeschehen.
Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück
Irgendwo auf der Welt fängt mein Weg zum Himmel an.
[ Dieses Lied und die Geschichte der Comedian Harmonists
erzählen für mich vieles über Träume und Erfüllung,
über zerbrochenes Glück und Sehnsucht.
Es gibt Momente im Leben, da werden Träume wahr,
und wir sollten uns immer wieder einmal kurz in den Arm kneifen,
um das zu begreifen – nicht erst dann, wenn das Glück zerbrochen ist: Da sitzt ein Mensch neben mir, den ich liebe;
da gibt es einen Freund, dem ich vertraue;
da lebe ich im Frieden, hier und jetzt. ]
Immerhin tröstlich, dass das menschenverachtende Nazi-Regime mit seinem Hass und seiner Gewalt es nicht geschafft hat, den Menschen die Lieder der Hoffnung und Sehnsucht zu nehmen.
Du hast MICH geträumt, Gott!
Der Weg zum Himmel … irgendwo, irgendwie, irgendwann … ist auch ein zutiefst biblisches Motiv. Es durchzieht die Geschichte Gottes mit den Menschen von Anfang an. Eigentlich liest sich bereits die Erschaffung der Erde so, als ob Gott sich damit einen Traum erfüllt:
Himmel, Erde, Luft und Meer. Helles Sonnenlicht. Funkelnde Sterne am Nachthimmel. Der Mond, einmal Sichel, einmal weißlich-runder Ballon. Wälder, dunkel, dicht und lichtdurchflutet, die weiten Wiesen. Vögel, kleinen und großen Tiere an Land. Zuletzt dann wird der – möglicherweise – größte Traum Gottes Wirklichkeit: der Mensch wird geschaffen. Nicht als Untertan, sondern als Gegenüber, nach seinem Bild. Und siehe, es war sehr gut. Wie auch immer ein, unser Lebensweg später verlaufen mag: Am Anfang steht immer der Traum Gottes. Es tut gut, sich das ins Gedächtnis rufen zu lassen. Gerne von der großen Theologin Dorothee Sölle, die mit berührenden und zugleich entschiedenen Worten dran erinnert, wie unsere Welt in biblischer Tradition gedacht ist – gerecht, frei, geschwisterlich! Möglich, weil am Anfang eines jeden von uns die Sehnsucht Gottes nach einem aufrechten & freien Menschen steht:
Du hast mich geträumt gott
wie ich den aufrechten gang übe
und niederknien lerne
schöner als ich jetzt bin
glücklicher als ich mich traue
freier als bei uns erlaubt
Hör nicht auf mich zu träumen gott
ich will nicht aufhören mich zu erinnern
dass ich dein baum bin
gepflanzt an den wasserbächen
des lebens[1]
Jakob und die Himmelsleiter
Der Anfang ist gut: Gott träumt die Welt, bunt und schillernd,
und den Menschen: frei, aufrecht und schön.
Doch dann beginnt in der Bibel der Teil der Geschichte,
in dem wir uns bis heute bewegen:
der Mensch zerstört das Paradies, zerbricht das Glück anderer,
leidet selbst an dem, was andere, das Leben ihm an Wunden schlagen.
Und siehe, es war sehr gut?
Die Welt, so wie sie ist, spricht nun allzu oft diesem Urteil Hohn.
Wir Menschen auch. Nicht erst jetzt; schon in der Bibel.
Ein Beispiel aus dem 1. Testament: Jakob – ein Trickser,
der alles versucht, um sein Ziel zu erreichen.
Er führt den Vater hinters Licht, betrügt den Bruder um seinen Segen, scheint sein Recht auf Glück zu verspielen. Dass er in der Nacht, in der ein Traum sein Leben verändert, sein Haupt auf einen Stein bettet, lese ich auch symbolisch: Es ist kein sanftes Ruhekissen, das Jakob sich verdient hätte. Nun liegt er da, es ist dunkel. Und da geschieht es: Der Himmel öffnet sich. Eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und der Herr stand oben darauf und sprach: Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und Isaaks Gott. Das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe. (Gen 28, 12-15)
Auf der Flucht, in der Schuld fängt für Jakob der Weg zum Himmel an. Er liegt am Boden, als Gott ihm zeigt, dass er an dem festhält, was er für Jakob im Sinn hat. Einmal wird es sein. Und Jakobs Blick, zuvor gefangen, weitet sich: Was er in der Nacht gesehen hat, gibt ihm Mut für seinen Weg und eine Perspektive. Als er erwacht, richtet er seine Schritte an der Wirklichkeit aus, die Gott ihm in den Himmel gemalt hat. Denn damals wie heute gilt: es läuft sich leichter, wenn man um den Sinn des Laufens weiß. Jeder Schritt, ahnt Jakob jetzt, bringt ihn näher ans Ziel. Der Weg, den Jakob weiter geht, ist noch lange nicht zu Ende: Er wird später noch einmal fliehen, mit Gott ringen, sich einen neuen Namen verdienen müssen, bevor dann die Begegnung und Versöhnung mit dem Bruder anstehen. Jakobs Weg ist kein leichter. Aber eine Vision gibt ihm Kraft, und er scheint damit bereits auf Erden einige Sprossen auf der Himmelsleiter erklimmen zu können. Irgendwo auf der Welt fängt der Weg zum Himmel an. Jakob findet einen Ort, an dem er das erlebt, und andere Menschen nach ihm, durch die Zeiten hinweg. Anderen hingegen scheint das Leben solche Orte, an denen sich Himmel und Erde berühren, vorzuenthalten, Visionen, die beflügeln, Himmelsleitern, die nach oben führen. Stattdessen geschieht so vieles zwischen Himmel und Erde, das unbegreiflich ist und manchmal einem Albtraum gleicht. Warum das so ist, wissen wir nicht. Die Bibel erklärt es nicht, redet die Welt aber auch nicht schön. Was sie aber den Menschen mitgibt, ist ein Versprechen: Der Anfang allen Lebens war gut, und einmal wird es sein, dass wir die Fülle erleben.
Einmal wird es sein – und bis dorthin bleibt uns, wie Jakob aufzustehen, weiterzugehen, im Vertrauen darauf, dass es auch einen Traum Gottes für unser Leben gibt, so verwirrt und beladen es auch manchmal scheinen mag. Vielleicht blitzt hin und wieder etwas auf davon, schon jetzt … Wenn Menschen uns mit ihrer Vision einer Welt im Sinne Gottes berühren, ermutigen. Denken Sie an den 28. Aug. 1963, das Lincoln Memorial in Washington. Eine Viertel Million Menschen hörte die unvergesslichen Worte: „I have a dream“ von Rev. Martin Luther King. Er erzählte von seinem Traum von der Gleichheit und Brüderlichkeit (heute: Geschwisterlichkeit) aller, von einer Welt, in der seine Kinder nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden. Die Schüsse, die ihn fünf Jahre später traffen, töteten ihn, aber seine Worte leben weiter, inspirierten seitdem unzählige Menschen, veränderten auf ihre Weise die Welt.
Wenn alte Menschen träumen
I have a dream – und wovon träumen Sie? Worauf hoffen Sie, was wünschen Sie sich für sich selbst, für diese Welt? Eines lehrt die Bibel und auch die Geschichte: Zum Träumen ist es nie zu spät. Und: Zum Träumen ist man nie zu alt. Wusste schon der Prophet Joel … der bemerkenswerte Worte schrieb: „Eure Alten sollen Träume haben“. (Joel denkt dabei an die kommende Welt, so, wie sie um Gottes Willen sein soll.) Vielleicht gerade deshalb die Alten, weil an ihnen besonders deutlich wird, was Träumen in Gottes Namen bedeutet: Keine naive Traumtänzerei, kein Wolkenkuckucksheim. Alte Menschen, reich an Geschichten, nüchtern auch, wissen genug von zerbrochenem Glück, unerfüllten Hoffnungen. Sie haben die Himmelsleiter nicht erklommen, wissen, dass das Reich der Träume, so, wie es in der Bibel ersehnt und versprochen wird, auf Erden noch nicht sein wird. Und dennoch sind und bleiben unsere Träume und mit ihnen unsere Hoffnungen wichtig weil sie motivieren, inspirieren, in Frage stellen, ermutigen, Grenzen verschieben, und Räume öffnen … Stellen Sie sich vor, einige von uns würden gemeinsam eine Ausstellung über Träume & Hoffnungen von Menschen heute vorbreiten … und dazu mit ihnen sprechen … was würden sie wohl zu hören bekommen …? Vom Ende aller Kriege und vom Frieden zwischen Völkern, Nationen, Rassen, Kulturen und Religionen … ein friedvolles Miteinander überhaupt, im Kleinen, im Großen. – Friede auf Erden eben. Soziale und materielle Gerechtigkeit für alle und jeden. Dass man vom Lohn seiner Arbeit auch leben kann. Saubere Luft, keine Klimakatastrophen etc. Menschenrechte und Menschenwürde immer und überall, keine wie auch immer geartete Gewalt in Wort oder/und Tat gegen Frauen, Mädchen, Kinder … Keine Hetzreden, Spaltungen und abwertenden Äußerungen. Kein Burnout-Wirtschafts-System, das mehr tötet als belebt. Räume, in denen Menschen Zufluchtsorte und Ansprechpartner für ihr unruhiges und geplagtes Inneres finden … Die Liste ließe sich wohl beliebig fortsetzen. Träume vermitteln eine große Leichtigkeit … auf dem Weg zur Erde und zum Himmel.
Weil sich das eigene Leben und das der anderen verändert, wenn man eine andere Wirklichkeit vor Augen hat. Deshalb brauchen wir auch heute immer noch Menschen, die von Glück, Seligkeit, von göttlichen und menschlichen Träumen reden oder singen, weil ihnen eine große Hoffnung innewohnt; ganz i.S. folgenden Textes …
1) Man sagt, er war ein Gammler. Er zog durch das ganze Land,
raue Männer im Gefolge, die er auf der Straße fand.
Niemand wusste, wo er herkam, was er wollte, was er tat.
Doch man sagte: Wer so redet, ist gefährlich für den Staat.
2) Man sagt, er war ein Dichter. Seine Worte hatten Stil.
Wer Ihn hörte, schwieg betroffen, und ein Sturm war plötzlich still.
Seine Bilder und Vergleiche waren schwierig zu versteh’n.
Doch die Leute saßen stundenlang, ihn zu hören und zu seh’n.
3) Man sagt, er war ein Zauberer. An Wundern fehlt es nicht.
Er ging zu Fuß auf einem See und gab den Blinden Augenlicht.
Machte Wein aus klarem Wasser, kannte Tricks mit Fisch & Brot.
Und er sprach von einer Neugeburt, weckte Menschen auf vom Tod.
4) Man sagt, er war Politiker, der rief: “Ich mach euch frei!“
Und die Masse wollte gern, dass er ihr neuer König sei.
Er sprach laut von Korruption und wies auf Unrecht offen hin.
Doch man hasste seinen Einfluss, und so kreuzigten sie ihn.
5) Er ist der Sohn des Höchsten, doch Er kam, um Mensch zu sein,
offenbarte Gottes Art, um aus der Sünde zu befrei’n.
So hab ich Ihn erfahren, ich begann Ihn so zu seh’n. Und ich meine, es wird Zeit – wir sollten Ihm entgegengeh’n.
Amen.