Predigttext – Apostelgeschichte 9,36-42
„In Joppe aber war eine Jüngerin mit Namen Tabita, das heißt ‚Gazelle‘. Die tat viel Gutes und gab reichlich Almosen. 
Es geschah aber in jenen Tagen, dass sie krank wurde und starb. Man wusch sie und bahrte sie im Obergemach auf. 
Da Lydda nahe bei Joppe liegt, vernahmen die Jünger, dass Petrus dort sei, schickten zwei Männer zu ihm und ließen ihn bitten: Säume nicht, zu uns herüberzukommen. 
Da machte sich Petrus auf und ging mit ihnen. Als er dort ankam, führten sie ihn in das Obergemach; alle Witwen traten zu ihm und zeigten ihm unter Tränen die Kleider und Gewänder, die die Gazelle gemacht hatte, als sie noch unter ihnen war. 
Petrus aber wies alle hinaus. Und er kniete nieder und betete; und zu dem Leichnam gewandt sprach er: Tabita, steh auf! Sie öffnete ihre Augen, sah Petrus an und setzte sich auf. 
Er gab ihr die Hand und half ihr auf. Dann rief er die Heiligen und die Witwen herein und zeigte ihnen, dass sie lebte. 
Dies wurde in ganz Joppe bekannt, und viele kamen zum Glauben an den Herrn. 
Und so blieb er einige Tage in Joppe bei einem Gerber namens Simon.“
Liebe Gemeinde,
eine etwas eigenwillige Erzählung, die wir gerade gehört haben. Eine ziemlich rasch und fast ein bisschen lapidar erzählte Wundergeschichte (besonders, wenn wir sie mit der langen Hinführung aus der Lesung vergleichen) – typisch für den manchmal beinahe ironischen Stil des Lukas. Eine Schilderung der Situation und der Rollen in der sicherlich noch ganz jungen Gemeinde von Joppe, dem heutigen Jaffa bei Tel Aviv. Eine Vorstellung einer Frau, die ganz besonders gewesen sein muss. Oder: Ein Trauerbesuch mit ziemlich ungewöhnlichem Ausgang.
Eine Totenerweckung – etwas nicht Alltägliches. Heute überhaupt nicht mehr, aber auch die biblischen Erzählungen dieser größten aller Wunder sind recht rar und lassen sich an knapp mehr als einer Hand abzählen. Im Alten Testament gibt es die überhaupt ganz selten, aber auch in den Evangelien und der Apostelgeschichte passiert das keineswegs andauernd. Dass ein Mensch von den Toten auferweckt wird. Dass jemand tot war und wieder lebt.
Hier aber geschieht das – und wir stehen vor diesem Text und, wie es so oft bei Wundergeschichten ist, wissen vielleicht nicht so wirklich, was wir – im Hier und Jetzt – damit anfangen sollen.
Bei Wundern, da geraten wir als Christinnen und Christen, als religiöse Menschen, als Gläubige, vermutlich oft in eine gewisse innere Zwickmühle. Zwischen modern-aufgeklärter Ratio und gläubigem Vertrauen in das Wahrsein dessen, was wir in Gottes Wort lesen und hören.
Ob man Wundergeschichten für im Buchstabensinne wahr hält oder nicht, ist Frage des höchstpersönlichen Glaubens – das lässt sich nicht von Kanzeln diktieren. Ob man die Erzählung von der Auferweckung unserer Tabita, damals vor 2000 Jahren in Joppe, für genauso stattgefunden ansieht, oder nicht, das liegt letztlich doch im Ermessen jedes und jeder Einzelnen.
Aber, dass hier etwas passiert ist, das so besonders war, dass es – wenn auch knapp erzählt – den Weg in die Apostelgeschichte, den Weg in die Heilige Schrift gefunden hat, das muss doch – als Mindestes – zur Kenntnis genommen werden.
Dass das, was wir hier lesen, also auch uns heute angeht – uns heute zum Nachdenken, zum aufmerksamen Lesen und Hören, anregen will.
Kehren wir also, nach diesen einleitenden Gedanken, zurück nach Joppe – zurück zu Petrus und Tabita und der trauernden Gemeinde.
Und fangen wir bei unserer Beschäftigung mit diesem Text doch mit den letzten an. Mit der Gemeinde von Joppe, die da, beim vielbeweinten Tod der Tabita, etwas ein bisschen untypisches tut.
Und damit das ganze Wunder einleitet– sie tun etwas, das leicht überlesen und übersehen ist, aber das Auferstehen der Tabita erst ermöglicht.
I. Der Glaube der Gemeinde
Denn auch wenn Petrus, also einer Akteure der Apostelgeschichte, der ist, der hier die Tote auferweckt, so ist die Gemeinde von Joppe zunächst Subjekt der Handlung und leitet alles weitere erst ein. Ohne ihr Tun wäre all das nicht passiert.
Bei diesem Auferstehen, das wir hier hören, da kann, scheint’s, auch mitgeholfen, nachgeholfen werden. Das ist der erste Punkt, den wir aus dieser Erzählung mitnehmen können.
Erfahren wir doch, dass die Gemeindeglieder aus Joppe den Tod der Tabita nicht einfach hinnehmen. Nicht einfach akzeptieren, dass die von ihnen so Geschätzte nun einmal verstorben ist. Wohl praktiziert man an ihr die jüdischen Gebräuche von Waschen des Leichnams und Aufbahrung desselben. Und auch ein klagender Witwenchor hat sich eingefunden.
Aber gleichzeitig wird eben auch nach dem in der Nähe befindlichen Petrus geschickt. Wohl nicht mit dem Hintergedanken, dass er die Verstorbene mir nichts, dir nichts wieder unter die Lebenden zu bringen vermag, aber gewiss aus der Hoffnung heraus, dass er, einer der Apostel Jesu, im Namen ebendieses Auferstandenen und Lebendiggewordenen irgendetwas Hilfreiches würde tun können.
Auch wenn wir nicht genau wissen, was wir an Hilfe oder Unterstützung letztendlich erhalten, lohnt es sich, diese anzufragen – und zwar durchaus auch selbstbewusst: „Säume nicht, zu uns herüberzukommen.“ – so baten die Joppener den Apostel.
Das geschieht ganz gewiss im Ersten und Tiefsten aus dem Glauben heraus, dass Tod und Grab für die Christen damals in Joppe, für uns Christen heute, nichts ist, womit man sich nur abfinden kann. Auch wenn der leibliche Tod nicht verhindert werden kann, Auferstehungen nichts sind, was im Hier und Jetzt, in dieser Welt und diesem Leben noch in dieser Form geschieht, so zeigt sich hier im Handeln der Gemeindeglieder aus Joppe doch, dass die Absolutheit des Todes, die endgültige Gewalt, man könnte auch sagen, die finale Herrschaft dieser so unüberwindlich scheinenden Tatsache, nicht einfach hingenommen wird, sondern aus der – wenn vielleicht auch diffusen, vielleicht allzu sehr noch am Wirken eines Menschen hängenden – Gewissheit, dass der Tod in Christus überwunden ist, eine solche Initiative gesetzt wird.
Mir kommt das berühmte Wort des Apostels Paulus in den Sinn: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (1Kor 15,55) – er hat es an die Gemeinde in Korinth geschrieben, die Joppener werden es unmöglich gekannt haben. Aber auch sie haben aus dieser Zuversicht, diesem – ja noch im Entstehen begriffenen – Glauben heraus, gehandelt, als sie nach Petrus schickten.
Für jedes Wunder braucht es Glauben. Und damals, da war es eben Petrus, der den neuen Christen als Gewährsmann für diesen Glauben galt. Er, der diesen Glauben verkündigt und im Namen Jesu gewirkt hat.
Das eins-zu-eins auf die Gegenwart zu übertragen birgt freilich gewisse Risiken. Allzu schnell verknüpfen wir dann Wunder, besonders wenn es um Heilungen und dergleichen geht, mit dem Wirken von Menschen. Und so gewiss es hier auch darum geht, zu zeigen wie machtvoll Gott in den Aposteln wirkt, so kritisch müssen wir heutzutage sein, wenn jemand meint, in Nachfolge dieser besonderen Männer oder einfach durch Anrufung Jesu Ähnliches tun zu können.
Die Zeit der Wunderheilungen durch Männer Gottes und der Totenauferweckungen durch Geistliche ist vorbei – das ist ein Spezifikum der apostolischen Zeit gewesen, eine Fähigkeit dieser Männer, die noch mit Jesus am Tisch gesessen sind.
Wer heute meint, aus ähnlicher Ermächtigung heraus zu heilen und aufzuerwecken, ist im besten Fall naiv, im häufigeren Fall ein Scharlatan und religiöser Verführer.
Nicht das Wirken von einzelnen Menschen ist heute das Besondere – sondern der Glaube, der darauf vertraut, dass Gott Wunderbares zu tun im Stande ist. An uns, an Anderen, an seiner Schöpfung.
Eben dieser Glaube war es auch damals, der die Joppener nach Petrus schicken ließ. Im Vertrauen darauf, dass im Glaube und aus dem Glaube am Totenbett etwas geschehen kann, das ansonsten nicht passieren würde.
Die Verkündigung der Überwindung des Todes, die Zusage der kommenden Auferstehung, die Verheißung des Seins bei Gott – das ist das, was auch heute bei Tod und Begräbnis an Hoffnungsvollem und Tröstendem gesagt wird. Und manchmal, da ist es eben diese christliche Botschaft, die auch heute unter den Trauernden und Weinenden kleine Wunder zu vollbringen vermag.
Der Trost, dass das Sterben des irdischen Körpers nicht das Verschwinden des Menschen an sich ist, kein endgültiger Zustand, sondern nur ein Vorletztes, das ist das wirkliche Wunder – das heute so gilt, wie damals in Joppe.
Daneben haben wir aber hier natürlich noch die Auferweckung der Tabita. Und der wollen wir uns nun noch einmal zuwenden.
Denn Petrus, der wie erbeten kommt, sich sein „Setting“ schafft, indem er alle hinausschickt und dann tatsächlich die Verstorbene wieder zum Leben erweckt (und das auch noch wesentlich weniger „körperlich“ als noch Elischa) beendet dieses, sein Wunder mit einer Aufforderung.
Am Ende des Wunders, da steht gewissermaßen ein Rufzeichen.
II. Steh auf – zurück ins Leben
„Steh auf!“ – „ἀνάστηθι“ (anástethi) im Griechischen. Das ist diese Aufforderung.
Aufstehen. Ein mehrdeutiges, vielgestaltiges Geschehen.
Aufstehen, auferstehen, das kann vieles heißen und diese Aufforderung, bei der es sich zunächst ja vermeintlich nur um eine Änderung der Körperhaltung zu handeln scheint, ist im Letzten eine höchst individuelle, persönliche Angelegenheit, abhängig von der Situation des Einzelnen.
Für Tabita heißt das aber; Vom Tod auferstehen; und damit; Zurück ins Leben kehren. Zurück in ihr Leben.
In ein Leben, das sie sehr ordentlich geführt hat. Ihr gutes Wirken, ihre positiven Charakterzüge werden ja ausdrücklich genannt. „Die tat viel Gutes und gab reichlich Almosen“- heißt es über sie.
Ein Leben, das es mehr als wert ist, fortgesetzt zu werden. Manchmal, könnte man lapidar sagen, erwischt‘s dann halt doch die Richtigen. Hier wird einmal eine auferweckt, die sich das wirklich „verdient“ hat.
Aufstehen, zurück ins Leben – Tabita hat wahrscheinlich ihr bisheriges Leben fortgesetzt. Zumindest erfahren wir nichts Gegenteiliges; dieses Auferstehen führt wohl bei ihr nicht dazu, dass sie in irgendeiner Weise mit dem bricht, was bisher war – weil es eben gut und richtig war, wie sie bisher gelebt hat.
Aufstehen als Rückkehr ins bisherige Leben. Als Rückkehr in ein gelingendes Leben.
Ein solches „Steh auf!“ – das können auch wir uns zusagen lassen. Das ruft auch uns Gott immer wieder zu. Nicht so sehr durch den Mund des Apostels, aber durch sein Wort, durch die Erzählungen, die wir hier hören.
Ein Aufstehen zurück in das Leben.
Wenn es gelingend war, aber Schicksalsschläge, Verirrungen, Fehler oder Falscheinschätzungen uns weggeleitet haben.
Weggeführt von dem, wie wir uns Leben gut und nach dem Willen Gottes führen.
Dorthin wieder zurückgeführt zu werden, wenn wir von diesem Weg einmal abgekommen sind, das ist ein Aufstehen, ja ein Wiederauferstehen zurück ins Leben.
In das Leben, das Gott für uns will.
Vorhin haben wir ja aus dem Heidelberger Katechismus gehört. Die Frage 90. Die behandelt eigentlich genau das, heißt es dort doch:
„Was heißt Auferstehen des neuen Menschen?
Herzliche Freude in Gott durch Christus haben und Lust und Liebe, nach dem Willen Gottes in allen guten Werken zu leben.“
Wenn man nach Phasen der Trauer, der Niedergeschlagenheit, der Verunsicherung, der Trennung oder des Schmerzes wieder zurückfindet ins gelingende Leben, wiederaufersteht in ein Leben aus Freude, in Lust und Liebe, eines, nach dem Willen Gottes – dann ist das ein großes Wunder. Auch wenn es nicht um die Überwindung eines körperlichen Todes geht, wie bei der Geschichte von Tabita.
Dabei können wir uns von Gott helfen lassen – so wie damals Petrus im Auftrag Gottes und durch dessen Macht der trauernden Gemeinde von Joppe geholfen hat.
Gott hilft uns, aufzustehen, wiederaufzustehen in’s Leben.
Wieder zurückzufinden zu dem, was unser Leben eigentlich ausmacht.
Und das loszuwerden, was nur belastet und beschwert.
Eine solche Auferstehung, ein solches Aufstehen – das können wir schon hier und jetzt erleben.
Wenn auch wir bereit sind, aufzustehen – auf diese Aufforderung Gottes, dieses „Steh auf!“, auch zu reagieren. Wenn auch wir bereit sind, unser Leben unter die Führung und Hand Gottes zu stellen, es dort zu ändern, wo wir wissen, dass wir gegen seinen Willen handeln, uns inspirieren lassen von den Dingen, von denen wir wissen, dass sie Gott gefällig sind.
Uns inspirieren lassen auch von dem Leben der Tabita, das so viel Gutes hervorgebracht hat.
Ein solches Aufstehen – eine solche Reaktion auf das „Steh auf“ ist das, was wir vorhin im Lehrtext als „wahrhaftige Bekehrung des Menschen“ gehört haben.
Ein „Absterben des alten Menschen“ und ein „Auferstehen des neuen Menschen“.
Ein Zulassen des Wirkens Gottes an uns.
Der uns hier in seinem Wort, hier in dieser Erzählung zuzurufen scheint:
Steh auf – wenn du wie tot bist.
Steh auf – wenn du dein Leben verschläfst.
Steh auf – wenn du in deinen Sorgen und Nöten verstrickt bist.
Steh auf – wenn dich die Lasten und Mühsale, denen du ausgeliefert bist, niederdrücken.
Lass dir, wie damals Tabita, dieses Wort, diese Aufforderung zusagen!
Dann kann auch an uns, auch an dir, ein gar nicht so kleines Wunder geschehen.
III. Steh auf – in die Ewigkeit
Dieses Auferstehen aber, das hat natürlich noch eine zukünftige Perspektive.
Beinhaltet noch ein Wunder, das unseren Verstand in Wahrheit weit überschreitet und dabei doch unseren Glauben auf Stärkste prägt, weil es die zentrale Hoffnungsperspektive christlichen Lebens und Sterbens darstellt.
Der Glaube daran nämlich, dass dereinst eine tatsächliche Auferstehung allen Fleisches stattfinden wird.
Wir haben jetzt vom Aufstehen im übertragenen Sinne gesprochen, vom Zurückfinden ins Leben, vom Anschließen an Gelungenes, vom Überwinden von schwierigen Phasen.
Das ist gewissermaßen Auferstehungsmetaphorik; zentral für unser Leben als Christinnen und Christen und doch bildliche Sprache und abgeleitete Haltung.
Das große Zukünftige aber, das ist die Auferstehung des Leibes, die uns zugesagt und versprochen ist, für die die leibliche Auferstehung Jesu Unterpfand und Erstlingsgabe ist.
Letztlich geht es um eine doppelte Auferstehung, ein zweifaches „Steh auf!“
Das erste, über das wir vorhin nachgedacht haben, das gilt hier, in diesem Leben.
Ein Aufstehen eben in den Glauben hinein, in das Vertrauen auf Jesus, ins gelingende Leben nach dem Willen Gottes.
Das kann schon ein Wunder sein!
Das zweite ist die verheißene Auferstehung in der Zukunft.
Dann nicht von Petrus im Obergemach in Joppe an eine Einzelne verkündigt, sondern von den Posaunen der Engel für alle Menschen – Lebende wie Verstorbene.
Dieses zweite „Steh auf!“ ist schwer greifbar, nichts, was wir andauernd erleben oder allzu leicht mit unserem Alltag verbinden können. Und doch ist es das, was unser Leben und Handeln als Christinnen und Christen begründet und festigt. Das, was als allgemeingültige Hoffnungsbotschaft hinter jedem Wunder, hinter jedem Aufstehen in diesem Leben, steht und stehen sollte.
Ein zweifaches „Steh auf!“, das wir uns von diesem Text zusagen lassen dürfen.
Einmal jetzt schon, in diesem Leben, in unserer je persönlichen Situation und Lage.
Einmal am Jüngsten Tag, als Perspektive und Grundlage unseres Glaubens.
Steh auf! – zum gelingenden Leben nach dem Willen Gottes und zum Nutzen der Nächsten.
Steh auf! – zum ewigen Leben, das dir verheißen ist.
Beides ist ein wirkliches Wunder.
Amen