„Am Anfang war das Wort. Das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott selbst. Von Anfang an war es bei Gott. Alles wurde durch das Wort geschaffen; nichts ist ohne das Wort entstanden. In ihm war das Leben, und dieses Leben war das Licht für alle Menschen. Es leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht auslöschen können.“

Johannes 1, 1-5

SONG OF MYSELF von Walt Whitman – in Auszügen

Ich feiere mich selbst und singe für mich selbst und was ich mir herausnehme, sollst auch du dir herausnehmen.
Denn jedes Atom, das mir gehört, gehört ebenso gut auch dir.

Ich feiere und lade meine Seele als Gast ein; liege auf dem Erdboden, behaglich halte ich Rast und betrachte einen Halm vom Sommergras. Meine Zunge, jedes Atom meines Blutes ist aus diesem Boden gebildet und aus dieser Luft.

Ich bin geboren von Eltern, die hier von ihren Eltern geboren sind, und auch diese von ihren Eltern; Und so beginne ich im Alter von 37 Jahren, in vollkommener Gesundheit zu dichten.

Und hoffe bis zu meinem Tode damit nicht aufzuhören.

Glaubensbekenntnisse und Schulen stehen eher im Hintergrund und weichen für eine Weile zurück, nach ihrem Wert geschätzt, wenn auch niemals vergessen.

Ich hörte, was die Redner redeten, die Rede vom Anfang und vom Ende. Ich aber rede nicht vom Anfang und nicht vom Ende. Nie gab es mehr Anfang als jetzt. Nie mehr Jugend oder Alter als jetzt. Und nie je wird es mehr Vollkommenheit geben als jetzt, oder mehr Himmel oder Hölle als jetzt. …

Willkommen ist mir jeder Teil des Körpers und jede Eigenschaft und die eines jeden fröhlichen und reinen Menschen.

Ich bin zufrieden – Ich schaue, tanze, lache, singe.

Es gibt etwas in mir – ich weiß nicht, was es ist aber ich weiß, es ist in mir; Sein Freund ist die Schöpfung, deren Umarmung mich erweckt. Es ist nicht Chaos oder Tod.

Es hat Gestalt, Einheit, Bestimmung. Es ist ewiges Leben, Glückseligkeit.

Wenn du mich nicht sogleich verstehst, bleibe dennoch guten Mutes.

Findest du mich nicht an einer Stelle, so suche mich an einer andern. Irgendwo halte ich mich auf und warte auf dich.

Heidelberger Katechismus

Frage 28 Was nützt uns die Erkenntnis der Schöpfung und Vorsehung Gottes?

Gott will damit, dass wir in aller Widerwärtigkeit geduldig, in Glückseligkeit dankbar und auf die Zukunft hin voller Vertrauen zu unserem treuen Gott und Vater sind, dass uns nichts von seiner Liebe scheiden wird, weil alle Geschöpfe so in seiner Hand sind, dass sie sich nur regen und bewegen können, wenn er es will.

Psalm 86 präsentiert uns dazu passend ein Lied, in dem ein Mensch danach fragt: Was ist Glückseligkeit?

PSALM 86

1EIN GEBET, VON DAVID. Herr, hab ein offenes Ohr, antworte mir! Denn ich bin niedrig und arm. 2Bewahre mein Leben, ich bin dir doch treu! Hilf deinem Knecht, du bist ja mein Gott! Ich verlasse mich auf dich. 3Hab Erbarmen mit mir, mein Herr! Denn ich rufe zu dir den ganzen Tag. 4Gib deinem Knecht ein fröhliches Herz! Meine ganze Sehnsucht gilt doch dir, mein Herr. 5Denn du, mein Herr, bist gut und bereit zu vergeben. Deine Güte kommt zu allen, die zu dir rufen. 6Hör auf mein Gebet, Herr! Achte auf mein Flehen um Gnade! 7In meiner Not rufe ich zu dir! Denn du wirst mir antworten.

8Keiner ist wie du, mein Herr, unter den Göttern. Kein anderer kann deine Werke vollbringen. 9Es kommen alle Völker, die du geschaffen hast. Sie werfen sich vor dir nieder, mein Herr, und geben deinem Namen die Ehre. 10Ja, groß bist du und tust Wunder, du bist Gott, du allein. 11Lehre mich, Herr, deinen Weg! Ich möchte nach deiner Wahrheit leben. Lass eines in meinem Herzen wichtig sein, dass ich deinem Namen mit Ehrfurcht begegne. 12Herr, mein Gott, dir will ich von Herzen danken und deinem Namen für immer die Ehre geben. 13Denn deine Güte übertrifft alles in meinem Leben. Du wirst mich aus dem Totenreich ziehen, ganz unten aus der Tiefe.

14Gott, unverschämte Leute stellen sich mir entgegen. Zur Gewalt bereit, bedrohen sie mein Leben. Doch dir schenken sie keine Beachtung. 15Mein Herr, du bist ein einzigartiger Gott: Reich bist du an Barmherzigkeit und Gnade, unendlich geduldig, voller Güte und Treue. 16Wende dich mir zu und hab Erbarmen mit mir! Lass deinen Knecht aus deiner Kraft schöpfen und schenk dem Sohn deiner Magd die Freiheit. 17Zeig mir, dass du es gut mit mir meinst! Alle, die mich hassen, sollen es sehen und sich enttäuscht davonmachen. Denn du allein bist der Herr! Du hast mir geholfen und mich getröstet.

Liebe Gemeinde!

Ein geschätzter Pfarrerkollege, Khaled Mazhar, Pastor der Evangelischen Kirche des Guten Hirten in Suwayda, Syrien, wurde vor einer Woche am 19. Juli 2025 umgebracht. Pastor Mazhar, seine Frau Amira, seine Kinder Asil, Jihan und Khaled jr. sowie weitere Familienmitglieder wurden von militanten Islamisten ermordet. Es gilt als einer der verheerendsten Angriffe auf einen christlichen Haushalt in der jüngeren syrischen Geschichte.

Das Massaker traf auch seine Großfamilie. Unter den 20 Todesopfern und den Verwundeten sind Judat Hassan Mazhar und seine Frau Amira Mazhar, ihre Söhne Khaled und Jihan Mazhar und die Töchter Asil und Rita. Rita überlebte mit einer Schusswunde und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Marwan Al-Halabi, seine Frau und ihre Kinder Fadi Al-Halaby und Moeen Al-Halby (11 Jahre alt). Asma, ihr Ehemann Yaman Al-Khatib und die Töchter Shahd und Sarah. Pastor Khaled hatte sein Leben dem Evangelium gewidmet, nachdem er die drusische Religion verlassen hatte. Obwohl er die Risiken kannte, blieb er in der Stadt Suwayda und predigte über Buße, Liebe und die Erlösung, die in Jesus Christus zu finden ist. Sein friedlicher Dienst, den er unter denen führte, die ihn einst Bruder nannten, endete mit Blutvergießen, aber, wie Freunde meinen, nicht mit einer Niederlage. “Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, aber die Seele nicht töten können. ” Matthäus 10, 28

Dieser Akt des religiösen Hasses ist eine eindringliche Erinnerung daran, dass Christinnen und Christen in vielen Teilen der Welt verfolgt werden. Khaleds Kühnheit angesichts solcher Drohungen war nicht rücksichtslos oder gedankenlos. Khaled sah die Lösung der Probleme in Syrien und anderswo, wie er in einer seiner Predigten gesagt hat, allein in der Vergebung. Beduinengruppen, sunnitische Muslime, und die drusische Minderheit beschuldigen sich gegenseitig, für den Angriff verantwortlich zu sein. Aber das macht die Getöteten auch nicht lebendig.

Mir ist bei dieser schrecklichen Nachricht der Spruch von Albert Schweitzer eingefallen. Er hatte sein gesamtes Leben als Arzt, Theologe, Musiker und Humanist eine klare lebensbejahenden Weltanschauung. „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Ich bejahe jedes Leben – weil ich mit jedem Leben verbunden bin. „Bewahre mein Leben! Ich bin dir ja treu.“, betet einer jener Psalmdichter,  die man der berühmten Gestalt des David zuspricht.  „GOTT hab ein offenes Ohr für mich, antworte mir!“ Auch wenn ich niedrig, ohne Ansehen und arm bin, hör mir zu! Hier ringt jemand um Worte. Er möchte sein Leben verstehen, aussprechen, was für sein Leben wichtig geworden ist, worauf er sich stützt, was seinem Leben Wert, Inhalt und Sinn gibt.

Darin ist er dem Text „Song Of Myself“ von Walt Whitman, dem US-amerikanischen Dichter, Essayisten und Journalisten ähnlich. Whitman hat mit 36 Jahren seinen ersten Band an Gedichten „Leaves Of Grass“, „Grashalme“ publiziert. Er sprach darin vieles an, das Menschen bewegt, das uns alle umtreibt, uns darin alle verbindet. Und Whitman richtet sich bei seinen Gedichten oft nach dem Versmaß der hebräischen Psalmen und sein „Song Of Myself“ ist so ein moderner Psalm mit 52 Teilen. Auf der Rückseite des Sonntagsblattes habe ich einen sehr kleinen Ausschnitt zusammengestellt.

„Ich feiere und lade meine Seele als Gast ein; liege auf dem Erdboden, behaglich halte ich Rast und betrachte einen Halm vom Sommergras.“

In Psalm 86 kommt diese tiefe Naturverbundenheit ebenso zum Ausdruck. Denn tief in uns, manchmal etwas verdeckt oder versteckt, da tragen wir alle so eine Liebe zur Natur, zu den Pflanzen, den Tieren, den Menschen in uns. David in Israel sucht wie Whitman in den USA 2.300 Jahre später nach Antworten auf drängende Fragen. Wem soll ich treu sein? Wem darf ich vertrauen? Wer beschützt mein Leben und das meiner Liebsten? Wer hört mir zu, wenn ich in Not bin, nach Sicherheit suche? Wie kann ich in trauriger Stimmung und bei schlechter Lage trotzdem ein wenig oder auch gerne mehr Freude empfinden?

„Ich rufe zu dir den ganzen Tag…“ Vielleicht kennen Sie auch jemanden, der Sie täglich anruft, Ihnen ein Whatsapp schreibt, mit Ihnen täglich Kontakt haben möchte. Dann nehmen wir das doch ernst, ernster vielleicht als bisher. „Gib mir ein fröhliches Herz! Meine ganze Sehnsucht gilt doch dir.“ Ich muss ehrlich sagen, dass ich David gut verstehen kann. Ich wünschte mir das auch in letzter Zeit öfters: ein fröhliches Herz. Und es ist bestimmt so, wie David singt: „GOTT, du bist gut und bereit zu vergeben und bereit, mir ein fröhliches Herz zu schenken.“ Denn es kann ja nicht sein und darf nicht sein, dass jemand, der in großer Not zu GOTT ruft, ungehört und allein bleibt. „Hör auf mein Gebet! Achte auf mein Flehen!“ Aber es ist leider so, dass viele im Leid alleingelassen bleiben. Und wenn David Recht damit hat, dass keiner so wie GOTT ist, auch keine anderen Götter, und schon erst recht kein Menschen, dann muss das doch auch etwas bewirken und bedeuten.

Für David ist es die große Wallfahrt aller Völker und Nationen, die sich in einer fernen Zukunft vor GOTT verneigen werden, sich vor GOTT niederwerfen werden, die ihn ruhiger stimmt. Nur heißt es eben nicht, dass alle ein und dieselbe Religion haben werden. Aber es wird eine Verständigung geben, ein stilles inneres Verstehen, dass es um Nächstenliebe, Mitmenschlichkeit und humane Ziele für unsere Welt geht, ja gehen muss. Bei Walt Whitman rückt früh im Nachdenken die Verbundenheit mit den Eltern, deren Sohn er ist, Louisa und Walter, ins Blickfeld. Und er verweist auf deren Eltern und deren Eltern und so weiter. Walt und David sinnieren, woher sie kommen und wohin sie gehen und im Psalm 86 heißt es dann:

„Lass mich aus deiner Kraft schöpfen und schenk dem Sohn deiner Magd die Freiheit.“ Für beide, Walt und David, gibt es dabei einen Gedanken als Ziel fürs Leben, den Wunsch, im Leben lebendig zu sein, mit Momenten voller Freude, Situationen voller Leichtigkeit und Gewissheit. Sie wollen es wissen. „Lass eines in meinem Herzen wichtig sein, dass ich deinem Namen mit Ehrfurcht begegne.“ Und ich will dir für immer danken. Denn du bist so gütig, dass du mich aus dem Totenreich ziehen wirst, von ganz unten heraus aus der tiefsten Tiefe, in die ich im Leben geraten kann. Solange ich lebe, wird es immer Situationen geben, in denen es mein letzter Atemzug gewesen sein könnte. Und aus jeder solchen Situation hat mich bisher und wird mich GOTT herausziehen, bis zum letzten Tag meines Lebens.

Für Jesus und uns Christinnen und Christen wird auch dahinterstehender Sinn deutlich – GOTT wird uns nicht im Totenreich belassen. Sondern es wird den Tag der fröhlichen Auferweckung geben. Aber David und Walt Whitman sprechen nicht von dem, was nach dem Tod kommen wird. Ihnen geht es ums Leben hier und jetzt und deshalb beschreibt David etwa eine Ungerechtigkeit, die wir alle täglich wahrnehmen. Es gibt unverschämte, rücksichtslose Leute, die mit Gewalt und Aggression Menschen an Leib und Leben bedrohen. David meint: „Sie bedrohen mein Leben.“ Ich empfinde auch all die Meldungen über Gewalt, Mord und Totschlag und Raub als bedrohlich. Und ich weiß, GOTT schenken die Verachter des Lebens keine Beachtung, ja sie lachen und ignorieren alles, was mit ihm zusammenhängt.

„Mein HERR, du bist ein einzigartiger, ja ein eigenartiger GOTT.“ Wie kann GOTT trotz der menschlichen Unfähigkeit, liebevoller miteinander umzugehen, so barmherzig, nachsichtig, gütig, geduldig bleiben? „GOTT, zeig mir, dass du es gut mit mir meinst.“ Wie könnte das in meinem Leben aussehen? Und wie in Ihrem? Für David war jede Situation, in der er getröstet worden ist oder Hilfe auch manchmal von unerwarteter Seite erhalten hat, so ein Zeichen. Er konnte sich darauf verlassen, dass jede Form menschlicher Zuneigung und Fürsorge, die ihm von anderen entgegengebracht worden ist, so ein Zeichen Gottes war. Und sein Gefühl wird wohl jenem von Walt Whitman geähnelt haben, der mit 37 Jahren bereits so herrlich resümiert:

„Ich schaue, tanze, lache, singe. Es gibt etwas in mir, ich weiß nicht, was es ist, aber ich weiß, es ist in mir. Sein Freund ist die Schöpfung, deren Umarmung mich erweckt. Es ist nicht Chaos oder Tod. Es hat Gestalt, Einheit, Bestimmung. Es ist ewiges Leben, Glückseligkeit.“ Ein Psalm zur Lebensfreude, ein Lebensfunke, der das Feuer für unser Leben anfachen kann. Nein, es geht nicht gut aus. Und es wird nicht alles gut. Aber ich schaue, tanze, lache, singe, wie Walt und wie David und so viele Menschen vor mir und auch nach mir.

Pfarrer Khalid Mazhar wird den Psalm 86 gekannt haben. Und auch wenn der 86er oft als Sammelsurium, eine Compilation anderer Psalmen belächelt wird, so ist er für mich ein Best Of verschiedener Strophen anderer Psalmen und Lieder.

„Wenn du mich nicht sogleich verstehst, bleibe dennoch guten Mutes.

Findest du mich nicht an einer Stelle, so suche mich an einer andern. Irgendwo halte ich mich auf und warte auf dich.“