Matthäus 9,18-26 mit Pfr. Harald Kluge Youtube
Jesus zieht mit 30 Jahren los, um Menschen zu retten. Er wird schnell zum Star. Die Menschen strömen dort zusammen, wo man munkelt: „Jeschua, der Wunderrabbi, kommt vorbei.“ Bei einer Bergpredigt hat Jesus die Massen für Gottes Wort begeistert. Einen Mann mit einer schlimmen Hauterkrankung hat er geheilt. Dann hat Jesus den Diener eines Hauptmanns von seiner schmerzhaften Lähmung und die Schwiegermutter seines Followers Simon von heftigem Fieber, und dazu einige Menschen von ihrer Besessenheit befreit. Hier setzt die folgende Szene an, so wie sie im Evangelium nach Matthäus beschrieben wird. Bei Lukas und Markus liest es sich ein wenig anders.
18Während Jesus mit den Jüngern von Johannes dem Täufer sprach, kam einer der führenden Männer des Ortes dazu. Er warf sich vor ihm nieder und sagte: »Meine kleine Tochter liegt in den letzten Zügen. Bitte komm mit und leg ihr deine Hand auf. Dann wird sie wieder lebendig.« 19Jesus stand auf und folgte ihm. Auch seine Jünger kamen mit. 20Da drängte sich eine Frau von hinten an Jesus heran, die seit zwölf Jahren an Blutungen litt. Sie berührte eine Quaste seines Mantels. 21Denn sie sagte sich: »Wenn ich nur seinen Mantel berühre, werde ich gesund.« 22Jesus drehte sich um. Als er sie sah, sagte er: »Nur Mut, meine Tochter! Dein Glaube hat dich gerettet!« Von diesem Augenblick an war die Frau gesund. 23Dann kam Jesus in das Haus des führenden Mannes. Er sah die Flötenspieler und die aufgeregten Menschen. 24Er sagte: »Geht hinaus! Denn das Mädchen ist nicht tot, es schläft nur.« Da lachten die Leute ihn aus. 25Er aber warf all die Menschen hinaus. Dann ging er zu dem Mädchen hinein und nahm seine Hand. Da stand es auf. 26Die Nachricht darüber breitete sich in der ganzen Gegend aus.
Matthäus 9,18-26
Liebe Gemeinde! Vor etwa einem Monat ist Ähnliches in einer italienischen Stadt geschehen. Ein Mann hatte den Notruf angerufen, weil seine Frau neben ihm im Bett zu atmen aufgehört hatte. Die Ärztin des Notdienstes ist gekommen und hat den Totenschein ausgestellt. Als die Bestattungsfirma den Leichnam in den Sarg gelegt hatte und ihn schließen wollte, hat die vermeintlich tote Frau die Augen geöffnet. Der Ärztin drohen einige Jahre Haft. Auch sie haben ihren Augen nicht getraut.
Jesus schickt niemanden fort, wiegelt den Vater hier auch nicht einfach ab und sagt sowas Vertröstendes wie: „Lieber Jairus, ich hab leider gerade keine Zeit. Ich muss mich um Wichtigeres kümmern.“ Jesus steht sofort auf, als sich Jairus vor ihm niedergeworfen hat, und geht mit ihm mit. Es ist für Jesus in dem Moment nur eines wichtig, es gilt nach der kleinen Tochter von Jairus zu sehen. Wer würde hier nicht auch so rasch reagieren? Wer von uns würde nicht alles liegen und stehen lassen und sich sofort auf den Weg machen, wenn man weiß, dadurch etwas zum Guten verändern zu können? So war Jesus eben, bereit jenen zu helfen, die ihm begegnet sind. Wohl nur Unbarmherzige wären da herzlos.
In den anderen Erzählungen bei Lukas und Markus ist der besorgte Vater Jairus übrigens kein Beamter der Stadt, sondern der Synagogenleiter. Bei Lukas und Markus wird ausführlicher von der großen Menge an Volk geschrieben, die sich rund um Jesus geschart hatte. Jesus muss sich mit Jairus hier regelrecht durch einen Pulk an Fans kämpfen, um vorwärts zu kommen. Und dann werden sie aufgehalten. Mitten auf dem Weg zur sterbenskranken Tochter hält Jesus länger inne. Und das wird fatal für das Mädchen sein. Jairus und Jesus und seine Jünger, Simon, Jakobus und Johannes wühlen sich durch die Menge an Schaulustigen und Kranken und Menschen, die nur einmal im Leben Jesus sehen, seine Stimme hören, seine Hand anfassen wollen. Da spürt der feinfühlige Jesus, dass etwas nicht stimmt. Ihm kommt es so vor, als sei gerade etwas Übernatürliches, Wunderbares geschehen.
Wir merken es doch auch oder etwa nicht, wenn etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Da sind wir hellhörig, nutzen unseren man mag sagen sechsten Sinn. Jesus weiß, gerade eben hat sich etwas Besonderes ereignet. Eine Frau hatte die Quaste seines Mantels berührt, wie so viele andere Menschen zuvor auch. Jesus war Jude und alle Jüdinnen und Juden kannten die Bedeutung der Quasten. Im 4. Buch Mose 15, 37ff. wird es beschrieben, woran die Quasten alle Menschen ihres Glaubens erinnern sollen.
„37 Der HERR sprach zu Mose: 38 »Sag den Israeliten, dass sie und alle ihre Nachkommen an die Zipfel ihrer Gewänder Quasten nähen sollen, die mit einem Stück Schnur aus violettem Purpur befestigt sind. 39 Die Quasten sollen euch daran erinnern, meinen Geboten zu gehorchen. Immer wenn ihr sie seht, sollt ihr an meine Weisungen denken. Das wird euch helfen, nicht mit euren Gedanken oder Blicken umherzuschweifen und nur eure eigenen Ziele zu verfolgen. 40 Ich möchte, dass ihr meine Gebote im Herzen bewahrt und sie befolgt. Ihr sollt mein heiliges Volk sein. 41 Denn ich bin euer Gott. Ich habe euch aus Ägypten befreit, um euch zu zeigen: Ich, der HERR, bin euer Gott!«“
Daran dachte gewiss auch die Frau, die wegen ihrer schweren langanhaltenden Erkrankung nur noch diesen beschwerlichen Weg für sich gesehen hat: „Ich muss nur das Gewand des Wunderrabbis Jesus berühren, ihm ganz nah kommen, dann werde ich gerettet sein.“ Es kostete sie eine große Überwindung. Denn sie verletzte damit die religiösen Regeln und Gesetze der damaligen Zeit. Sie hatte bei vielen Ärzten viel durchgemacht und alles dafür ausgegeben, was sie besaß. Aber es hatte nichts genützt. Die Blutungen waren nur noch schlimmer geworden. Die Frau hatte von Jesus gehört und drängte sich in der Volksmenge von hinten an ihn heran und berührte seinen Mantel. Mit ihrer Erkrankung galt die Frau, wie ein Mensch mit Hauterkrankungen, wie ein Mensch, der scheinbar besessen war, als religiös unrein, durfte sich religiösen Räumen nicht nähern. Damit wurde sie durch ihre Erkrankung einsamer, weil es auch galt, dass Krankheit und Unfall auf sündhaftes Verhalten zurückgeführt wurden. Deshalb geht sie auf Jesus zu, drängt sich durch die Menge vor und greift zu, ergreift die Chance beim Schopf, packt die Gelegenheit bei der Quaste. Und es wirkt sofort. Sie fühlt sich leichter, befreiter, hat sich bestimmt über ihren großen Mut gefreut und war gewiss stolz auf sich. Ihre Atmung geht regelmäßiger und sie wird sich erfrischt gefühlt haben. Zum ersten Mal seit 12 Jahren hat ihr etwas gutgetan. Womöglich haben ihre Kinder oder hat ihr Mann oder ihr Bruder zuvor gesagt: „Mach doch so was nicht, das ist doch verrückt, wie soll dir das helfen?“ Aber sie bemerkt in diesem Moment auch, dass Jesus zusammenzuckt, merkt, dass hier etwas nicht stimmt. „22Jesus drehte sich um. Als er sie sah, sagte er: »Nur Mut, meine Tochter! Dein Glaube hat dich gerettet!« Von diesem Augenblick an war die Frau gesund.“
So knapp erzählt es Matthäus. Bei Markus und Lukas gibt es hier mehr an Spannung. Denn erst bleibt Jesus stehen, dreht sich um, merkt, dass hier was passiert ist und fragt die Leute rundum: »Wer hat meinen Mantel berührt?« “Na los. Wer wars? Wer von euch?” Seine Jünger antworteten: »Du siehst doch, wie die Volksmenge sich um dich drängt. Und da fragst du: ›Wer hat mich berührt?‹« Aber es ist das Eine, wenn man Jesus berührt hat, wie so viele. Das andere war, wenn man angerührt von Jesus und während man fest an ihn geglaubt hat, und daran, dass GOTT ihn geschickt hat, um uns Menschen zu befreien, zu heilen, zu trösten, zu retten. Das ist eine völlig andere Art der Berührung, von Kontakt. Diese Frau hatte eine Verbindung zu Jesus und zu GOTT aufgebaut, die nur wenigen vergönnt war und noch ist.
Denn wer von uns fühlt sich Jesus so nah, GOTT so nah? Wer glaubt so wie diese Frau felsenfest daran, dass es die Rettung bedeutet, nur zu glauben? Jesus stellt klar, dass es nicht ums Berühren der Quaste und niemals um weltliche Dinge geht. »Nur Mut, meine Tochter! Dein Glaube hat dich gerettet!« Dein Mut, dein Glaube haben dich gerettet. Und du brauchst keine Ängste mehr ausstehen, weil GOTT dich hört, dich sieht. Du bist GOTT wichtig. Aber durch diese Ablenkung, diese vielleicht fünf bis zehn Minuten mit der Frau kommt es zur Katastrophe, zumindest wenn wir Markus und Lukas folgen. Jesus und Jairus werden nicht mehr rechtzeitig bei der sterbenskranken Tochter eintreffen. So wie ein Krankenwagen, der im Stau feststeckt, ein Rettungsfahrzeug, das trotz Blaulicht und Sirene am Gürtel eingezwängt zwischen unnachgiebigen Autofahrern dann zu spät in die Notaufnahme kommt. Jesus kommt nicht mehr rechtzeitig an, um den Tod des Mädchens zu verhindern. Bei den anderen Evangelien, heißt es, dass durch die Verzögerung, die es hier gibt, die Tochter verstirbt. Boten kommen vom Zuhause des Jairus zu ihnen und richten ihm aus: »Deine Tochter ist gestorben. Es hat keinen Zweck mehr, den Lehrer zu bemühen.« Aber Jesus hört, was sie reden und sagt zu Jairus: »Hab keine Angst! Glaube nur.«
Wenn es doch so einfach wäre. Wenn diese wenigen Worte „Hab keine Angst! Glaube nur.“ uns alle Angst nehmen könnten. Wir kennen alle die Ängste, die sich bei uns breitmachen, wenn wir glauben, dass jemand, den wir sehr liebhaben, in Gefahr sein könnte. Jairus zittert, bangt, fürchtet um das Leben seiner Tochter und er wird innerlich beben. „Meine Tochter ist gestorben! Da wird selbst Jesus nichts tun können. Es war alles umsonst.“ Zuallererst nimmt Jesus nun den Jairus zur Seite, wie man das mit Menschen in Ausnahmesituationen immer machen sollte. Er schickt die Leute alle weg und nimmt nur die engsten Vertrauten mit, Petrus, Jakobus und Johannes. Sie gehen zum Haus von Jairus und wie es Tradition war, haben die Klageweiber und Flötenspieler bereits mit ihren Liedern zur Verabschiedung der Verstorbenen begonnen. Die Menschen des Hauses, die Mutter des Kindes, die Geschwister weinen und schluchzen und klagen laut, klagen GOTT auch an, dass ihr Lämmlein, Talita, ihnen so früh genommen wurde. Jesus aber versteht die ganze Aufregung nicht und fragt sie: „Warum seid ihr so aufgeregt? Warum weint ihr?“ Ist der Wunderrabbi womöglich doch kein Gottgesandter, denn so wenig Empathie kann der doch nicht haben. „‘‘Mein Kind ist gestorben!“ wird ihn die Mutter angeschrien haben. „Das Kind ist nicht tot, es schläft nur.“
Da lachen sie ihn aus. Und wer würde Jesus nicht auslachen, wenn der Tod einmal festgestellt und es allen klar ist, sie wird nicht mehr lebendig sein, nicht mehr herumlaufen, nie mehr spielen oder im Haushalt mithelfen oder auf die jüngeren Geschwister aufpassen und sich auch nicht zu einer erwachsenen Frau entwickeln können. Sie werden alle aufgebracht gewesen sein. Und Jesus wirft deshalb alle hinaus, nimmt nur Jairus, die Mutter des Kindes, und Simon, Jakobus und Johannes mit. Bei Matthäus nimmt Jesus hier nur die Hand des 12jährigen Mädchens. Das reicht aus. Eine einfache sanfte Berührung. Und da steht die Tochter von Jairus auf. Von ganz allein, setzt sie sich auf und kann sich aufrichten und mit den Beinen hochstemmen. Alle geraten da ins Staunen. Und ich muss sagen, ich staune auch nicht schlecht. Bei Lukas und Markus spricht Jesus noch die Zauberformel: „Talita Kum“, „Mädchen, steh auf!“ Talita, das Lämmlein oder das Mägdelein soll aufstehen. In unserer Geschichte bei Matthäus wird gesagt, dass es schnell die Runde macht. In der gesamten Gegend macht die Kunde schnell die Runde.
Glaube braucht Mut. Glaube gibt Mut. So einen großen mutigen Schritt wie den der Frau, die so lange Zeit durch ihre Krankheit definiert wurde. Bisher hatten alle diese Frau gesehen und gedacht, oje, die Arme, die hat es sicher nicht leicht. Aber da kann man halt nichts machen. Und jetzt war sie die Frau, die mutig auf Jesus zugegangen ist und die Gelegenheit beim Schopf gepackt hat. Sie hat Jesus angeschaut, mit ihr hat er gesprochen, und ihr Leben hat sich daraufhin geändert. Sie war nicht mehr die Frau von zuvor, hatte ihre 12 Jahre hinter sich gebracht und hatte ein freieres Leben vor sich. Das Mädchen war an der Schwelle zum Tod gestanden, aber hatte durch den Glauben ihres Vaters und die Nähe GOTTES in Jesus Rettung und Heilung erlebt. Wie es bei Jakobus 1,5 im Brief heißt: „Wenn es aber unter uns welche gibt, die nicht wissen, was wir in einem bestimmten Fall tun müssen, sollen wir Gott um Weisheit bitten, und Gott wird sie uns geben. Denn GOTT gibt sie uns allen gerne, ohne uns Vorwürfe zu machen.“
Wer daran glaubt, dass die Nähe zu GOTT unser Leben verändern kann, wird – so die Botschaft – das auch früher als später feststellen.