Pfarrer Harald Kluge
„Lass dich nicht mit einem Jähzornigen ein, halte dich von einem Hitzkopf fern, sonst wirst du am Ende genauso wie er und bringst dich selbst zu Fall!“ Sprüche 22,24f.
Ein Hitzkopf in der Bibel, der an einem der heißesten Tage endlich einmal mit GOTT abrechnen möchte, ist der berühmte Jona. Jona – sein Name deutet ein wenig auf seine Wesensart hin – heißt übersetzt „die Taube“, dann eben „der Taube“, und passt als „Flattergeist“ gut zur Jonageschichte. Der Flattergeist hin war von Gott zum Propheten auserwählt worden, aber er hatte dazu absolut keine Lust und flieht, weit weit weg. Als er mit einem Schiff weiterfliehen möchte, kommt ein großer Sturm auf. Um die Menschen an Bord zu retten, wirft die abergläubische Besatzung Jona über Bord, er wird von einem großen Fisch verschluckt und zurück an Land gebracht. Jona fügt sich dem Willen Gottes, geht in die assyrische Hauptstadt Ninive und sagt den Menschen dort ihren Untergang voraus. Überraschenderweise glaubt ihm der König von Ninive und alle Bewohnerinnen und Bewohner tun Buße, werden ganz fromm. Gott verschont daher die Stadt und die Menschen und das Vieh. Hier setzt die folgende kuriose Szene ein.
1 Jona aber ärgerte sich sehr darüber, voller Zorn 2 betete er: »Ach, HERR, habe ich das nicht gleich geahnt, als ich noch zu Hause war? Darum wollte ich ja auch so rasch wie möglich nach Tarsis fliehen! Ich wusste es doch: Du bist ein gnädiger und barmherziger Gott. Deine Geduld ist groß, deine Liebe kennt kein Ende. Du lässt dich umstimmen und strafst dann doch nicht. 3 Darum lass mich nun sterben, HERR, das ist besser für mich als weiterzuleben!« 4 Aber der HERR erwiderte nur: »Ist es recht von dir, so wütend zu sein?« 5 Jona verließ Ninive. Östlich der Stadt machte er sich ein Laubdach und setzte sich darunter in den Schatten. Er wollte beobachten, was mit der Stadt geschehen würde. 6 Da ließ Gott, der HERR, eine Rizinusstaude über Jona hochwachsen. Sie sollte ihm noch mehr Schatten geben und seinen Missmut vertreiben. Jona freute sich sehr über die Pflanze. 7 Doch am nächsten Morgen kurz vor Sonnenaufgang ließ Gott einen Wurm die Wurzeln des Rizinus zerfressen, und die Staude wurde welk und dürr. 8 Als die Sonne aufging, schickte Gott einen glühend heißen Ostwind. Die Sonne brannte Jona so auf den Kopf, dass er erschöpft zusammenbrach. Er wünschte sich zu sterben und seufzte: »Wenn ich doch nur tot wäre, das wäre besser als weiterzuleben!« 9 Da fragte ihn Gott: »Ist es recht von dir, wegen dieser Rizinusstaude so zornig zu sein?« Jona antwortete: »Mit vollem Recht bin ich wütend, am liebsten wäre ich tot!« 10 Der HERR entgegnete: »Du hast dich mit dieser Staude keinen Augenblick abmühen müssen, nichts brauchtest du für sie zu tun. In einer Nacht ist sie gewachsen, und in der nächsten ging sie zugrunde. Trotzdem hättest du sie gerne verschont. 11 Ich aber sollte Ninive nicht verschonen, diese große Stadt, in der mehr als 120.000 Menschen leben, die Gut und Böse nicht unterscheiden können, und dazu noch so viele Tiere?« <
Liebe Gemeinde!
Die Hitze macht uns zu schaffen. Hitzewellen überrollen Europa und andere Kontinente. Gestern hat Italien Alarmstufe Rot ausgerufen. Die Energieversorgung fällt in einigen Städten aus, Wasserknappheit führt zu Kontingentierung und zur Einführung von Wasserverbrauchszeiten. Wenn alle ihre Pools gleichzeitig füllen wollen, wird es stinken, weil die Klospülungen und die Kanalanlagen nicht mehr einwandfrei funktionieren. Die Hitze tötet tausende Menschen jedes Jahr, die den Anstrengungen für ihren Körper nicht gewachsen sind. Und auch auf die Seele wirkt sich eine Überhitzung aus. Depressionen und psychische Erkrankungen können sich an heißen Tagen verstärkt bemerkbar machen. In den USA weiß man bereits durch Studien, dass sich in Hitzeperioden mehr Menschen das Leben nehmen. Und wir ergehen uns in heißen und hitzigen Debatten über den Gazakrieg und den Ukrainekrieg und den Irankrieg und die E-Scooter auf Radwegen und die geringe Beschattung in der Stadt und die fehlenden Parkplätze für die Autos, weil Bäume gepflanzt wurden, um uns und die Gehwege zu beschatten. Wir diskutieren erhitzt, nicht ob es den Klimawandel gibt, sondern ob er menschengemacht ist. Während die einen Klimahysterie konstatieren, reden wir anderen über das fehlende Umwelt- und Klimabewusstsein. Aus jeder Mücke wird bei 32° C und mehr schnell einmal ein Elefant, um den gestritten wird. Die Hitze erregt schnell die Gemüter.
Einer, dem es auch so ergeht, ist Jona. Jona, „die Taube“, der „Flattergeist“, ist von seiner Namensherkunft ein unbeständiger und wetterwendischer Mensch. Auch vom „Springinsfeld“, dem „Leichtbeschwingten“, böse Zungen sagen „Leichtbeschwipsten“ und dem „Wendehals“ wird im Zusammenhang mit dem hebräischen Wort Jona gesprochen. Alles das passt auf unseren Jona. Denn wenn es schön warm ist und Jona im Schatten sitzen kann, ist er zufrieden und freut sich und lässt den lieben Gott einen guten Mann sein. Sollte Jona aber nicht aufpassen und in brütender Hitze sitzen und schwitzen, beschwert er sich.
Mal ehrlich. Ist Jona nicht so, wie wir manchmal sind? Sind wir nicht auch so wie Jona, so Jo-Na-sse? Gut, unsere Beschwerden in Bezug aufs Wetter richten wir an die Meteorologinnen und die menschlichen Wetterfrösche und nicht so sehr an GOTT. Wenn alles gut läuft und wir unserem Alltag nachgehen können und uns nichts wirklich aus der Ruhe bringt, oder der üblichen Hektik, dann ist irgendwie alles gut. Oder nicht? Aber kommt dann nur ein wenig Sand ins Getriebe unserer Geschäftigkeit, kommt es bei vielen zum großen Aufschrei. Ich kann Jonas Stimmungswechsel in der Geschichte sehr gut nachvollziehen. Wie der Temperaturwechsel in seinem Kopf und in seinen Gliedern kippt auch die Stimmung bei ihm. Anfangs spürt Jona die Anstrengung, die er die letzten Wochen hatte, und die einsetzende Entspannung, die sich breit macht. Gerade so wie wir aus dem Arbeitsalltag mit 60, 70 Stundenwochen uns plötzlich im Urlaub endlich wieder freier fühlen dürfen.
Jona wird sich erleichtert und entlastet gefühlt haben, dass er den Auftrag GOTTES so effektiv ausgeführt hat. Mit einem entspannten und angenehmen „Aaaah“ sitzt er unter dem Schatten der Rizinusblätter des Rizinusstrauches, den GOTT hat wachsen lassen. So lässt es sich aushalten. „Jö, is des sche!“ Wie auf dem Balkon mit Markise, mit einem lauen Lüfterl und einem Eiskaffee. So entspannt sitzt Jona vor seiner selbst gebauten Hütte mit einem Becher guten Weins in der Hand und schaut sich den Lauf der Sonne an.
Und er beobachtet von dem Hügel aus die schöne große Stadt Ninive. Dort unten sieht er die Menschen wie Ameisen herumwuseln. Sie arbeiten, sie handeln miteinander, sie umarmen einander, sie streiten, sie schlafen, essen, spielen, singen, tanzen und sie lieben sich. Nur Jona und GOTT wissen, dass all das fast nicht mehr hätte sein können. Die Stadt Ninive ist knapp an ihrer Auslöschung vorbeigeschrammt. Gerettet hat sie nur die Predigt von Jona, der durch die Straßen Ninives gezogen ist und den Leuten die Leviten gelesen hat. Und die Einsicht ihres Königs und der Führenden des Volkes und der Stadt hat alle vor ihrem Verderben gerettet. Durch den Weckruf von Jona sind sie alle hellhörig geworden und sie haben erkannt, was sie alles an Zerstörerischem angestellt haben und tagtäglich anstellen.
Ihre Art zu leben ist zerstörerisch. Und sie steuern auf ihre Vernichtung zu. Der König appelliert deshalb eindringlich an sein Volk: „Ändert euer Leben, jetzt!“ „Jeder muss von seinen falschen Wegen umkehren! Keiner darf dem anderen mehr Unrecht tun! Vielleicht lässt sich Gott ja noch umstimmen und hat Erbarmen mit uns; vielleicht wendet er seinen glühenden Zorn von uns ab, und wir kommen mit dem Leben davon.“ Gott lenkt daraufhin ein und lässt die Stadt, die verwandelte Stadt mit den verwandelten neuen Menschen weiterleben. Unser Jona könnte sich als Held der Geschichte wähnen. Er hat 120.000 Menschen gerettet! Kinder, Frauen und Männer dürfen leben, atmen, lieben, arbeiten. Und dazu werden alle Tiere, Schfe, Ziegen, Pferde und jede Menge an Katzen gerettet.
„Jona, freust du dich nicht?“ „Jo, na eh. Also nein, eigentlich nicht.“
Hat Jona keinerlei Empathie? Jona könnte so rund um 800 v. Chr. gelebt haben. Darauf deuten manche Hinweise in anderen Texten hin. Die Stadt Ninive wird schließlich 612 v. Chr. durch medische und babylonische Truppen völlig zerstört. 200 Jahre zuvor war sie dem Untergang von der Schaufel gesprungen. Was regt Jona dabei so auf?
Er betet zu GOTT: „Ach, HERR, habe ich das nicht gleich geahnt, als ich noch zu Hause war? Darum wollte ich ja auch so rasch wie möglich nach Tarsis fliehen! Ich wusste es doch: Du bist ein gnädiger und barmherziger Gott. Deine Geduld ist groß, deine Liebe kennt kein Ende. Du lässt dich umstimmen und strafst dann doch nicht.” Strafe muss sein. Wenn sie angekündigt ist, muss sie auch durchgezogen werden. Ninive, die Stadt der grausamen und hinterhältigen und mächtigen Feinde, hätte zerstört werden müssen. Da verliert man doch den gesamten Respekt vor GOTT. Wenn die Menschen tun und lassen und Verbrechen begehen können und ausbeuten und übervorteilen und bestehlen und alles Schlimme, was man sich gegenseitig antun kann, tun, und GOTT gebietet dem nicht Einhalt, sagt nicht STOPP! Hört auf damit! Wenn GOTT mit seinem strafenden Zorn nicht dreinfährt, wozu ist GOTT dann noch da? Gibt es nicht eine Grenze für Gnade und Barmherzigkeit? An einer Grenze muss mal Schluss sein. Ansonsten gewinnen nur noch die Mächtigen und Starken und Kräftigen und alle Regeln und Gesetze und Abmachungen und Werte und Moral verlieren ihre Bedeutung.
„Darum lass mich nun sterben, HERR, das ist besser für mich als weiterzuleben!“ Für Jona zerbricht seine Glaubenswelt. Warum soll ich versuchen ein guter Mensch zu sein, nach GOTTES Geboten zu leben? Wenn andere schlimme Dinge tun und dann mit einem Schwenk und einem Moment der Reue und Buße kurz vor der Bestrafung sich noch lieb Kind von GOTT machen können, ist das nicht unfair? Aber GOTT erwidert Jona nur: »Ist es recht von dir, so wütend zu sein?« Und wir alle hören die Antwort von GOTT – ein klares „Nein!“ – und die Antwort von Jona „Ja, es ist richtig von mir, so wütend zu sein!“ Jona geht GOTT aus dem Weg, ein kluger Schachzug, wenn man in Streitigkeiten verstrickt ist, die im Moment nicht lösbar sind.
Jona verlässt Ninive und baut östlich der Stadt ein Laubdach und setzt sich darunter in den Schatten. Er will beobachten, was mit der Stadt geschieht. Vielleicht hat GOTT Einsehen und zerstört die Stadt mit den vielen Verbrechern doch noch. Und hier geschieht ein kleines Wunder. Gott lässt eine Rizinusstaude über Jona hochwachsen. Diese Stauden können bis zu vier Meter hoch werden und die Blätter, die wie Finger aussehen, werden bis zu 80 cm im Durchmesser. Sie soll ihm noch mehr Schatten geben und seinen Missmut vertreiben. Und Jona freut sich sehr über die Pflanze. Rizinus ist auch eine Wunderstaude. Ihre Blätter, Wurzeln und anderen Teile werden seit der frühen Antike als Heilsalbe, Wundauflage, als Heilöl eingesetzt. Und diese Pflanzen wachsen sehr schnell, wenn auch nicht so schnell wie in unserer Geschichte. Aber sie sind auch sehr anfällig und daher ist es wiederum kein Wunder, dass ein Wurm, der an den Wurzeln frisst, diese Staude schnell killt.
Am nächsten Morgen kurz vor Sonnenaufgang lässt GOTT einen Wurm die Wurzeln des Rizinus zerfressen, und die Staude wird welk und dürr. Aber nicht nur dass die schöne Pflanze stirbt, schickt GOTT dazu noch einen glühend heißen Ostwind. Die Sonne brennt Jona so auf den Kopf, dass er erschöpft zusammenbricht. Er wünscht sich zu sterben und seufzt: »Wenn ich doch nur tot wäre, das wäre besser als weiterzuleben!« Zum zweiten Mal in kurzer Zeit spricht Jona davon, nicht mehr weiterleben zu wollen. Wenn jemand das so klar ausspricht, muss man das ernstnehmen. Und GOTT möchte auch bei Jona ein Umdenken erzeugen. Er soll es doch bitte nicht so schwer nehmen und ein wenig chillen, entspannen. Er hat gute Arbeit geleistet. „Ist es recht von dir, Jona, wegen dieser Rizinusstaude so zornig zu sein?“ Und wieder gilt Jo/ Na. Jona antwortet: »Mit vollem Recht bin ich wütend, am liebsten wäre ich tot!«
Zum dritten Mal spricht Jona es aus und jetzt platzt GOTT der Kragen und es zeigt, wie ähnlich wir in unserer Art dem Jona in Wahrheit sind. GOTT entgegnet: „Du hast dich mit dieser Staude keinen Augenblick abmühen müssen, nichts brauchtest du für sie zu tun. In einer Nacht ist sie gewachsen, und in der nächsten ging sie zugrunde. Trotzdem hättest du sie gerne verschont. Ich aber sollte Ninive nicht verschonen, diese große Stadt, in der mehr als 120.000 Menschen leben, die Gut und Böse nicht unterscheiden können, und dazu noch so viele Tiere?“
Leider bricht hier die Erzählung ab. Das Wichtigste ist jedoch gesagt. Die guten Dinge fliegen uns zu so wie die üblen Dinge auch. Wir haben uns unser Glück nicht selbst geschmiedet. Dass wir leben, verdanken wir unseren Eltern und unseren Großeltern und vielen Menschen und GOTT. Dass wir gesund sind, verdanken wir den medizinischen Fachkräften und der Medizin. Dass wir eine Schule besuchen können, zu essen haben, sicher wohnen, all das haben wir nicht selbst geschaffen. Deshalb steht es uns auch nicht zu an schlechten Tagen, in schlimmen Situationen uns aufzuregen und aufzugeben. GOTT beschenkt uns mit dem Wundervollsten und Schönsten, das wir im Leben erfahren werden. Aber wenn uns dann Tragisches passiert, wenn wir unzufrieden mit der Situation sind, weil sie anderen Menschen Gutes einbringt, sollten wir nie vergessen, dass all das GOTT wirkt.