Markus 14, 3-9 Pfr. Harald Kluge Youtube
Jesus war in Betanien bei Simon, dem Aussätzigen, zu Gast. Während des Essens kam eine Frau herein. Sie hatte ein Fläschchen mit reinem, kostbarem Nardenöl. Das öffnete sie und goss Jesus das Öl über den Kopf. Einige der Anwesenden waren empört darüber. »Was soll diese Verschwendung?«, sagten sie zueinander. »Dieses Öl hätte man für mehr als dreihundert Silberstücke verkaufen und das Geld den Armen geben können!« Sie machten der Frau heftige Vorwürfe. Aber Jesus sagte: »Lasst sie in Ruhe!
Warum bringt ihr sie in Verlegenheit? Sie hat eine gute Tat an mir getan. Arme wird es immer bei euch geben und ihr könnt ihnen helfen, sooft ihr wollt. Aber mich habt ihr nicht mehr lange bei euch.
Sie hat getan, was sie jetzt noch tun konnte: Sie hat meinen Körper im Voraus für das Begräbnis gesalbt.
Ich versichere euch: Überall in der Welt, wo in Zukunft die Gute Nachricht verkündet wird, wird auch berichtet werden, was sie getan hat. Ihr Andenken wird immer lebendig bleiben.«
Jesus hatte Recht. Wenn wir über Jesus und die Zeit vor seiner Hinrichtung sprechen, fällt uns allen diese eine Geschichte ein. Und diese Frau ist in die Weltgeschichte eingegangen. Andere Autoren haben sie mit Maria aus Magdala oder mit Maria, der Schwester von Martha und Lazarus identifiziert.
In dieser Urform trägt sie keinen Namen.
Wir wissen nur, dass Jesus mit Jüngern bei Simon einkehrt. In einer anderen Version kehrt er bei Marta und Maria und Lazarus ein. Lazarus hatte er von den Toten wieder auferweckt.
Und diesen Simon hatte Jesus einst von einem Aussatz geheilt. Mit diesem Besuch setzt Jesus ein Zeichen – wie so ziemlich mit allem, was er getan und gesagt hat. Dieser Simon war ein Aussätziger. Einer, mit dem die Menschen nichts zu tun haben wollten, weil sie überzeugt waren, dass sie sich anstecken könnten.
Und weil man zur damaligen Zeit der irren Annahme war, dass Gott einen mit Krankheit straft für irgendeine Schandtat, die man selbst oder die eine Familie begangen hat.
Jesus durchbricht diese irre und schreckliche Anschauung und sagt zu den geheilten Aussätzigen, Tauben, Lahmen, Blinden: „Geht in den Tempel und zeigt euch den Menschen!“ Sie sollen euch nicht länger ausschließen.
Lasst euch nicht abschieben in den Wald, in einen Raum, in ein Leben, wo ihr darben müsst und dahinvegetiert.
Auch Kranke sind zuallererst keine Kranken, sondern sie sind Menschen. Flüchtlinge sind keine Flüchtlinge. Kinder sind keine Kinder. Sie alles sind Menschen, wie du und ich von Gott geschaffen.
Deshalb wohnt Jesus bei Simon, dem einst Aussätzigen, der Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht hat.
Simon weiß, wie sehr es schmerzt, wenn man nicht beachtet, ja verachtet wird, ausgestoßen, abgeschrieben wird. Lasst niemanden zurück! So könnte eine der Parolen lauten, die mit Christus Einzug halten in der Welt.
Lasst die Älteren nicht zurück: Sie sollt ihr ehren! Lasst die Menschen, die behindert werden, nicht zurück. Lasst die Frauen nicht zurück, und auch nicht die Mädchen und Burschen.
Und als Jesus bei Simon zu Gast ist, kommen auch andere Gäste und wollen hören, was er zu sagen hat, und den Jesus sehen.
„Taugt der was?“
„Ist das ein Revoluzzer?“
„Wird es mit diesem Rabbi und Lehrer besser werden?“
Aber da taucht eine Frau auf in der Gemeinschaft. Unerhört in der damaligen Zeit.
Wenn die Männer zu Tisch liegen, haben die Frauen zu kochen, abzuwaschen, Essen aufzutragen und abzuräumen.
Diese Frau geht zu Jesus hin, und ohne ihn zu fragen, öffnet sie dieses Fläschchen.
Sofort erfüllt ein wohliger Duft den Raum. Es ist einer der wenigen Liebesdienste, die Jesus unseres Wissens entgegengebracht worden sind. Eigentlich traurig.
Denn auch Gottes Sohn hatte körperliche Regungen, Gefühle, menschliche Bedürfnisse. Ihm war nichts Menschliches fremd.
Es braucht manchmal wirklich nicht mehr, damit wir uns wieder wie Menschen fühlen – als ein duftendes Öl, eine sanfte Berührung, einen liebevollen Blick. Ein Kuss lässt mir die Welt wieder farbenfroher werden, beflügelt mich, befeuert meine Liebe.
Ein wohlduftendes Öl für die Haare.
Dadurch werden die von Wind und Wetter zerzausten Haare glatter, samtiger, geschmeidiger, bekommen ein volleres Volumen. Haare und der Mensch als a Ganzes riechen auch nicht mehr so streng.
Und so ein Duft vertreibt wohl auch so manche Laus. Und es vertreibt auch die Laus, die einem über die Leber gelaufen sein mag.
Öle, Düfte, Parfums, Eau de Toilette ebenso wie eine gute Handcreme, Fußcreme, Gesichtscreme, Body Lotion. Schön, wenn einem das geschenkt wird.
Und mit einer sanften Kopfmassage mit feinen Händen ausgeführt, sieht das Leben gleich ganz anders aus. Für einen Moment finden wir zurück zum Wesentlichen des Menschseins.
Liebe Gemeinde!
Seien wir mal ehrlich. Wir sind Haut und Knochen und Haare und Sehnen und Eingeweide und Knorpel und Blutbahnen und Herz. Und wir sind Nieren und Magen und Hirn. Ein Wunderwerk der Natur sind wir. Und wenn wir uns die Behutsamkeit und das Einfühlungsvermögen bewahren konnten, reagieren wir auf jedes Zeichen von Zuneigung, wenn es nur zur richtigen Zeit geschieht.
Die gleichen Wirkungen haben manche Teesorten, Fruchtsäfte und Kaffees. Und da bin ich bei einem bemerkenswerten Menschen, den ich letzten Donnerstag kennenlernen durfte.
Dr. Friedrich Ullmann ist mit 105 Jahren verstorben und hat es sich bis zuletzt nicht nehmen lassen, einmal am Tag einen Kaffee im Kaffeehaus, der Kaffeegreißlerei Schöneberger in der Wiedner Hauptstraße zu trinken.
Daheim hätte so ein Kaffee vielleicht ein Drittel von dem gekostet, was man dort zahlt. Aber es geht um einen kurzen Moment des Genießens, einen doppelten Espresso – unvergleichlich gut machen die den dort – hat sich Herr Ullmann mit 105 Jahren nicht nehmen lassen. Übrigens auf hebräisch und Zahlschrift steht für die 100 das Kaph und die 5 das He …. Kaphe. Ist das wirklich ein Luxus? Ja, wenn ich den Preis anschau. Aber der Kaffee ist es wert.
Ein paar Gäste regten sich damals bei Jesus auf, dass man das Öl für 300 Denare, Silbermünzen hätte verkaufen können. Das scheint etwas übertrieben zu sein, denn Judas soll ja für den Verrat an Jesus vom Hohepriester 30 Denare erhalten haben. Und 1 Denar war der Tageslohn für einen Arbeiter im Weinberg. Übrigens haben Hauslehrer nur 2/3 dessen verdient.
Die Moralisten werden hier laut. Und sie sind heute auch wieder lautstark unterwegs. Bitte Fleisch sollten wir alle nicht essen, wegen des Klimas. Und Alkohol ist schlecht, Süßigkeiten sowieso und Autofahren, Flugreisen oder noch schlimmer Kreuzfahrten sind abwegig, wenn wir die Welt retten wollen.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, denn dann würden Sie Jesus falsch verstehen. Es geht immer darum, dass wir bewusst leben, mit unseren Sinnen und dem Verstand gute Entscheidungen treffen, für uns, die Umwelt, die Mitmenschen und die Kinder und Enkelkinder.
Aber hier wollen die Moralapostel einer Frau ein schlechtes Gewissen einreden. Sie können sie nicht einfach machen lassen und fahren die Frau an: „Was hätte den Armen nicht geholfen werden können! Was für eine Verschwendung! Einmal gießt du dem Öl aufs Haupt, darum hat dich niemand gebeten! Du dummes Frauenzimmer! Wir, die gescheiten Mannsbilder, wissen, wie man Armen und Kranken und Gefangenen und Geflüchteten und Witwen und Waisen hilft. Und wie man der Umwelt, den Meeren, und den Walen und den Eisbären und den Kühen und Schafen und Hasen hilft.“
Vielleicht haben sie an die Tante Jolesch von Friedrich Torberg gedacht:
„Was ein Mann schöner ist als a Aff ist a Luxus! Und was er besser riecht als a Aff ist auch a Luxus!“
Dabei sind wir Nasenmenschen, Genussmenschen, Hautmenschen, Haarmenschen, Menschen mit Haut und Haaren. Und es macht einen Unterschied, ob wir uns um diesen Tempel, wie der Körper im Neuen Testament auch bezeichnet wird, kümmern.
„Lasst sie in Ruhe!“
So schreit Jesus die an, die sich aufregen, die es immer alles besser wissen, die Moralisten und Klugschwätzer. Kümmert euch um euren eigenen Kram, macht ihr doch keinen Vorwurf.
Euch wird man vergessen, glaubt mir. Die ihr euch heute aufregt, ihr werdet immer als die Dämlichen dastehen in der Geschichte.
Diese Frau hat es aber begriffen, gefühlt, gewusst, was Jesus hier gerade dringend braucht als Aufmunterung, als Seelentröster, als Streicheleinheit. Für Jesus war die Zeit der Revolution, der aufwiegelnden Reden in diesem Moment vorbei. Er bereitet sich auf seinen Ausstieg aus dieser Welt vor. Und er hat Angst, Bedenken, es ist ihm mulmig zumute. Und da kommt diese Liebesbekundung gerade recht.
Mehr braucht es manchmal nicht, um uns aus der harten brutalen Realität zurückzuholen. Weil so hart und brutal ist sie nicht. Meistens machen wir sie uns noch härter und brutaler. Aber wir können auch anders, wie diese Frau gezeigt hat.
Hiob 14, 6 „Darum nehmt nicht alles so ernst, lasst sie doch in Ruhe und gönnt ihnen doch das bisschen Lebensfreude!“