Pfr. Harald Kluge “von Gott enttäuscht”
Am Beginn einer Predigt steht der Kanzelgruß. Dabei zitieren wir immer die ersten Zeilen von einem der Briefe im Neuen Testament. Diese Briefe, älter noch als die Berichte über Jesus von den Autoren, die wir Markus, Matthäus, Lukas und Johannes nennen, wurden von Paulus, von Simon und anderen an die christlichen Gemeinden in Korinth, in Rom, in Ephesus, und an viele andere Orten geschrieben.
Gnade und Frieden. Das hat man sich vor 2.000 Jahren gewünscht und wünsch ich mir heute und Sie wohl auch.
GOTT geht es bei all den Begegnungen mit Menschen wie Abraham, Mose, den Propheten und Prophetinnen genau darum: Gnade, Rücksichtnahme und ein friedliches Miteinander.
Vor rund 2.600 lebte ein Jugendlicher namens Jeremia:
Jeremiah ben Hilkijahu, „Jeremia Sohn des Hilkijahu“, „Gott ist erhaben“
Und Jeremia wird von GOTT angesprochen. Aber er will kein Prophet werden, denkt sich, er ist noch viel zu jung für so eine schwere Aufgabe. GOTT schärft ihm nun von Anfang an ein – und wir sollten das den jungen Menschen um uns herum auch einschärfen:
„Sag nicht: Ich bin zu jung! Fürchte dich nicht vor den Leuten! Ich, GOTT, bin bei dir und werde auf dich achtgeben.
Und ich, GOTT, lege dir meine Worte in den Mund und gebe dir Vollmacht über Völker und Königreiche. Du wirst sie niederreißen und entwurzeln, zerstören und stürzen, aber auch aufbauen und einpflanzen!“
Eine ganz schön heftige Aufgabe und Jeremia macht sich damit nicht nur Freunde, sondern viele mächtige Feinde.
Und eines Tages wird Jeremia wegen seiner heftigen Aussagen gegenüber den Mächtigen im Land vom obersten Priester des Tempels, Paschhur, eingesperrt.
Jeremia wird schwer misshandelt und mit Händen und Füßen in einem Holzblock eingeschlossen und einen Tag lang gefoltert.
Daraufhin bricht es in einer lauten Klage aus Jeremia heraus. Und wir lesen eine der herzzerreißenden und ganz persönlichen Stellen in der Bibel.
Jeremia 20 klagt Gott sein Leid
7Du hast mich verführt, Herr, und ich habe mich verführen lassen; du hast mich gepackt und mir Gewalt angetan. Nun spotten sie immerzu über mich, alle lachen mich aus.
8Denn sooft ich in deinem Auftrag rede, muss ich Unrecht anprangern.
»Gewalt, Verbrechen!«, muss ich rufen, »Unterdrückung, Zerstörung!« Und das bringt mir nichts als Spott und Hohn ein, Tag für Tag.
9Aber wenn ich mir sage: »Ich will nicht mehr an Gott denken und nicht mehr in seinem Auftrag reden«, dann brennt dein Wort in meinem Innern wie ein Feuer. Ich nehme meine ganze Kraft zusammen, um es zurückzuhalten – ich kann es nicht.
10Viele höre ich tuscheln, sie nennen mich schon »Schrecken überall«. Die einen fordern: »Verklagt ihn!« Die anderen sagen: »Ja, wir wollen ihn anzeigen!« Sogar meine besten Freunde warten darauf, dass ich mir eine Blöße gebe.
»Vielleicht bringen wir ihn dazu, dass er etwas Unvorsichtiges sagt«, flüstern sie, »dann können wir uns an ihm rächen!«
11Doch du, Herr, stehst mir bei, du bist mein mächtiger Beschützer!
Deshalb kommen meine Verfolger zu Fall, sie richten nichts aus. Ihre Pläne misslingen und sie müssen sich auslachen lassen. Diese Schande bleibt für immer an ihnen hängen.
12Herr, du Herrscher der Welt, du kennst alle, die dir die Treue halten! Du prüfst sie auf Herz und Nieren. Lass mich sehen, wie du es meinen Feinden heimzahlst; denn dir habe ich meine Sache anvertraut.
13Singt dem Herrn und lobt ihn! Denn er rettet den Armen aus der Gewalt seiner Feinde.
14 Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren wurde; der Tag, an dem meine Mutter mich zur Welt brachte, soll für immer vergessen werden!
15 Verflucht sei der Mann, der meinem Vater die frohe Nachricht brachte: »Du hast einen Sohn bekommen!«
16 Es möge ihm ergehen wie den Städten, die der HERR erbarmungslos vernichtet hat!
Schon am Morgen soll er Schreckensschreie hören und am Mittag Kriegsalarm!
17 Wäre ich doch im Mutterleib gestorben.
Dann wäre meine Mutter mein Grab geworden und für immer schwanger geblieben!
18 Warum nur bin ich geboren? Um ein Leben zu führen, das mir nichts als Leid und Elend bringt? Um jeden Tag nur Schimpf und Schande zu ernten?
Jeremia 20, 7-18
Liebe Gemeinde!
Da sagt einer den mächtigen Menschen der damaligen Zeit die Meinung GOTTES und sie wollen ihn zum Schweigen bringen. „Weg mit ihm!“, denken sich die hohen Herren, die Priester und Herrscher.
Man wird halt ungern vorgeführt, belästigt und kritisiert. Und umso mächtiger man ist, desto weniger verträgt man Kritik. Oder wie gehen die mächtigsten Männer dieser Zeit mit kritischen Stimmen um? Ein Putin, ein Trump, ein Xi Jinping, ein Musk?
Es hat sich halt über die Jahrtausende nichts geändert und der Prophet Jeremia landet im Gefängnis und in der Folterkammer. Dass er die Misshandlungen überlebt, war gewiss ein Wunder. Und viele Menschen, die Folterungen überlebt haben, berichten, wie nicht nur ihre Kraft, sondern auch ihre Hoffnung und ihr Glaube an die Menschheit zertrümmert worden sind. Genauso wie man ihre Kniescheiben, ihre Finger, ihre Hände oder Ellbogen zertrümmert hat.
Aus dem Jeremia platzt es deshalb so unvermittelt heraus und er ist auch ganz wirr und wer ihm zugehört hat, muss mitgelitten haben.
Vielleicht waren es seine Geschwister, die ihn aus dem Gefängnis aufgenommen haben und sich um ihn gekümmert haben. Möglicherweise hat ein Freund, ein Weggefährte oder eine Gefährtin seine Wunden behandelt, ihm mit sanften Öltinkturen, wie Maria aus Magdala bei Jesus, ein wenig Zuwendung und Zärtlichkeit zeigen wollen.
Der starke und kräftige und geprüfte Jeremia kommt als gebrochener Mann aus der Tempelfolterkammer, dem Verlies.
Und mir geht es zusehends so, dass ich bei all den schrecklichen Meldungen und Nachrichten, auch merke, dass da etwas zerbricht.
Mein Glaube an die Menschheit, meine Hoffnung für die Zukunft, meine Sehnsucht nach einem besseren Leben für meine Kinder und alle die, die nach mir kommen.
Und ich gebe es zu, auch der Glaube an Gott wird da hart geprüft. Und da lese ich von Jeremia, diesem geschundenen Mann, der es immer nur gut gemeint hat mit seinen Mitmenschen. Er wollte sie nicht vorführen oder sich lustig machen oder sich moralisch über andere erheben, wenn er ihnen die Leviten gelesen hat.
Ständig wird den Grünen Parteien etwa von ihren Kritikern in Österreich und in Deutschland vorgeworfen, sie seien moralisch, arrogant, überheblich und würden so eine Art von Ökodiktatur aufbauen. In den USA und auch in Europa wird dazu noch auf dieselbe Art alles angegriffen, das mit woke, queer oder Homosexualität zu tun hat.
Elon Musk und Donald Trump sprechen von einem Woke Holy War. So als würden finstere Mächte sich verschworen haben, um den Kindern und Jugendlichen und unserer Gesellschaft die Hirne zu vernebeln. Und die Aussage, jede Person solle so leben dürfen, wie es für sie passt – mit gewissen Einschränkungen – findet von einer immer größer werdenden Gruppe keine Zustimmung mehr.
Auch Jeremia wurde seine Moralität, seine Besserwisserei, sein ständiges Beziehen auf GOTT und die Kritik an allem und jedem vorgeworfen. Nichts ist ihm heilig.
Jeremia startet seine Klage mit einem heftigen Vorwurf an GOTT:
„Du hast mich verführt, Herr, und ich habe mich verführen lassen; du hast mich gepackt und mir Gewalt angetan. Nun spotten sie immerzu über mich, alle lachen mich aus.“
Niemand hält das auf lange Sicht aus. Wenn man sich über mich lustig macht und als Pfarrer bekomme ich da einiges ab, meist nur hinter vorgehaltener Hand, dann macht das was mit einem. Es nimmt mir ein Stück meiner Würde, meiner Ernsthaftigkeit und zieht das, was ich vertrete, ins Lächerliche.
„Ah, der schon wieder. Lass den Jeremia bloß reden. Der tut nix! Der will nur predigen!“
Jeremia selbst wäre nie auf die Idee gekommen, die prophetische Stimme GOTTES zu werden. GOTT hat ihn verführt, und er hat sich verführen lassen. Mit Gewalt hat GOTT ihn überrumpelt.
8Denn sooft ich in deinem Auftrag rede, muss ich Unrecht anprangern.
»Gewalt, Verbrechen!«, muss ich rufen, »Unterdrückung, Zerstörung!« Und das bringt mir nichts als Spott und Hohn ein, Tag für Tag.
Gewaltverbrechen gibt es, wohin wir schauen, und Unterdrückung und Zerstörung feiern fröhlich Urständ. Ich glaube, ich kann es mir ersparen, die Beispiele aus heutiger Zeit aufzulisten und ich könnte auch die Liste der damaligen Zeit damit vergleichen. Es hat sich scheinbar nix verbessert.
Neu und ganz aktuell sind vielleicht die Verhaftungen, die es vorgestern in mehreren Bundesländern gegeben hat.
Es gab Festnahmen nach brutaler Hasskriminalität in sieben Bundesländern. Am 21. März gab es nach Hausdurchsuchungen Festnahmen von 15 Personen, darunter drei Frauen.
Es geht dabei um eine brutale Form der Hasskriminalität, ein nationales Verbrecher-Netzwerk – eine nach derzeitigem Ermittlungsstand überaus brutale und menschenverachtende Tätergruppe. Bei diesen Verbrechen, international ‚Hate-Crime‘ genannt, werden meist homosexuelle Menschen bedroht, gefoltert, erniedrigt und auch ausgeraubt. Jährlich werden rund 5.600 vorurteilsmotivierte Straftaten in Österreich registriert.
„Gewalt, Verbrechen, Unterdrückung, Mord!“ Das würde Jeremia hier lauthals verkünden, damit wir nicht glauben, dass Homosexuelle oder Transpersonen hier friedlich und sicher leben können. Jeremia würde die zunehmende Aversion gegenüber manchen Gruppen anprangern. Etwa wie mancherorts mit Muslimen und Muslimas umgegangen wird, mit Zeugen Jehovas, mit Jüdinnen und Juden, mit unseren Mitmenschen, woher sie auch kommen, welche Staatsbürgerschaft sie auch haben sollten, welcher Religion sie sich zugehörig fühlen, welcher geschlechtlichen oder sexuellen Orientierung.
Jeremia läuft bei sich damals gegen Mauern, gegen eine Stimmung in der Gesellschaft, die immer weniger auf GOTT hören will, und nur ihre eigenen Interessen vertritt.
9Aber wenn ich mir sage: »Ich will nicht mehr an Gott denken und nicht mehr in seinem Auftrag reden«, dann brennt dein Wort in meinem Innern wie ein Feuer. Ich nehme meine ganze Kraft zusammen, um es zurückzuhalten – ich kann es nicht.
Jeremia kann es nicht unterdrücken. Und bei uns meldet sich vielleicht nicht jeden Tag GOTT persönlich zu Wort.
Aber wir haben ein Gewissen und einen Verstand und Ahnungen und Gewissheiten und wir haben Gottes Wort. Auch bei uns meldet sich bestimmt eine Stimme, die ruft: Unrecht, Ungerechtigkeit, da muss doch jemand was tun, wie kann so was sein, dass ein Land einfach so angegriffen und zerstört und die Menschen umgebracht werden. Das gibt’s doch nicht – denken Sie sich doch auch oft. Oder?
10Viele höre ich tuscheln, sie nennen mich schon »Schrecken überall«. Die einen fordern: »Verklagt ihn!« Die anderen sagen: »Ja, wir wollen ihn anzeigen!« Sogar meine besten Freunde warten darauf, dass ich mir eine Blöße gebe.
»Vielleicht bringen wir ihn dazu, dass er etwas Unvorsichtiges sagt«, flüstern sie, »dann können wir uns an ihm rächen!«
Wir leben in einer Gesellschaft, in der man schnell verklagt werden kann, wenn man unvorsichtig ist. Dass es 2.600 Jahre vor unserer Zeit auch schon so war, ist doch beachtlich.
Verklagt ihn! Führt ihn vor! Verhaftet ihn! Bringt ihn zum Schweigen!
Bei Jesus kam es wieder dazu – „Weg mit ihm! Hängt ihn auf! Schlagt ihn und heftet ihn ans Kreuz!“
Jeremia fantasiert dann davon, dass alle seine Verfolger nichts ausrichten werden, sondern von GOTT gerichtet, abgeurteilt werden. In der größten Not hilft es, sich vorzustellen, dass die Bösewichter eine gerechte Strafe bekommen werden.
11Doch du, Herr, stehst mir bei, du bist mein mächtiger Beschützer!
Da kommt Jeremia ein versöhnlicher Gedanke. Es richtet ihn auf, so wie Jesus damals das Gebet im Garten Getsemane gibt es ihm Kraft für den weiteren Weg, für den nächsten Tag. Oder zumindest glaubt er das.
13Singt dem Herrn und lobt ihn! Denn er rettet den Armen aus der Gewalt seiner Feinde.
Aber so einfach ist es eben nicht. Ich kann mir das Leben nicht schön denken, also können schon, aber dann bricht es umso heftiger auf mich ein.
14 Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren wurde; der Tag, an dem meine Mutter mich zur Welt brachte, soll für immer vergessen werden!
15 Verflucht sei der Mann, der meinem Vater die frohe Nachricht brachte: »Du hast einen Sohn bekommen!«
18 Warum nur bin ich geboren? Um ein Leben zu führen, das mir nichts als Leid und Elend bringt? Um jeden Tag nur Schimpf und Schande zu ernten?
Schlimmer lässt sich eine völlig aussichtslose und hoffnungslose und glaubenslose und lieblose Lage nicht beschreiben. Jeremia will sterben. Ich denke nicht, dass er das nur so vor sich hinsagt: Ich hab genug! Besser ich wär tot!
Ich spüre hier eine völlig trostlose Lage. Da hilft dem Jeremia, wie Jesus dann nach er Geißelung und Folter auch, in diesem Moment rein gar nichts. „Warum nur bin ich geboren?“
Verstehen und mitfühlen und mitleiden mit dem gebrochenen Jeremia kann ich wohl nur dann, wenn ich mir das selbst schon mal gedacht habe. Aber darüber spricht man nicht und auch Jeremia hat es wohl nur Gott gegenüber gesagt und dann aufgeschrieben. Das mag ein Anker sein, hinunter in die tristeste Lage, in die wir geraten können. Aufschreiben, anderen darüber erzählen … aber das braucht enorm viel Kraft, die ich dann ja nicht hab. „Gott! Warum nur bin ich geboren? Um jeden Tag wie durch einen Sumpf zu waten?“ Wir alle kennen leider die Antwort auf diese Frage, die Jeremia an GOTT stellt … Jeremia wird noch viele Jahre Prophet GOTTES sein.