Harald Kluge: “verlockend & verführerisch” Matthäus 4, 1-11

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Nachdem sich Jesus von Johannes hat taufen lassen, im Jordanfluss, und nachdem Gott aus dem Himmel gesprochen hatte: »Dies ist mein geliebter Sohn, über den ich mich von Herzen freue«, geschah Folgendes. „Danach wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel verführt zu werden. Vierzig Tage und vierzig Nächte fastete er, danach hungerte ihn. Da trat der Verführer an ihn heran und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, dann sag diesen Steinen da, sie sollen zu Brot werden. Er entgegnete: Es steht geschrieben: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt. Dann nahm ihn der Verführer mit in die heilige Stadt, und er stellte ihn auf die Zinne des Tempels.

Und er sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, dann stürze dich hinab. Denn es steht geschrieben: Seine Engel ruft er für dich herbei, und sie werden dich auf Händen tragen, damit dein Fuss nicht an einen Stein stosse. Da sagte Jesus zu ihm: Wiederum steht geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen. Wieder nimmt ihn der Verführer mit auf einen sehr hohen Berg und zeigt ihm alle Königreiche der Welt und ihre Pracht. Und er sagt zu ihm: Dies alles werde ich dir geben, wenn du dich niederwirfst und mich anbetest. Da sagt Jesus zu ihm: Fort mit dir, Satan. Denn es steht geschrieben: Zum Herrn, deinem Gott, sollst du beten und ihm allein dienen. Da lässt der Satan von ihm ab. Und es kamen Engel und dienten ihm.“

Matthäus 4,1-11

Liebe Gemeinde! Der Mensch lebt nicht vom Brot allein! Ob das stimmt oder nicht? Da hat Marcel, ein Bäckermeister in der Schweiz, vor kurzem einen Selbstversuch gestartet. Zwei Wochen nur Fast-Food und Mäckimenüs zu essen, das macht krank. Das wurde zur Genüge bewiesen. Aber wie sieht es mit Brot aus? Marcel Paa, angehender Brot-Sommelier, dachte sich, schau ma amal. Die Werte der Vitamine B3, B5, Eisen und Zink sind im Vergleich zum Blutbild, welches er vor seinem Experiment anfertigte, unerwarteterweise sogar leicht gestiegen, berichtet er. Gesunken sind hingegen die Werte der Vitamine A, B7 und B9. Und die 30 Tage Brot-Challenge führten auch dazu, dass er viel Muskelmasse verlor.  Aber sonst sind zumindest nach den 30 Tagen keine bleibenden gesundheitlichen Schäden zurückgeblieben. Eine Zeitlang lässt sich also durchaus mit Brot überleben.

Jesus steckt in einer ganz anderen Lage. Seine Situation vor 2000 Jahren ähnelt nicht so sehr unserem Wohlstandsleben in Mitteleuropa. Jesus befindet sich in der Wüste. Es ist tagsüber brennheiß, je nach Jahreszeit zwischen 20 und über 40° C und nachts unangenehm kalt bei 10° C. Nach 40 Tagen und Nächten steigern sich da Hunger und Durst ins Unermessliche. Und da scheint es umso unglaublicher, was Jesus auf das verführerische Angebot: „Na, mach aus den Steinen doch ein wenig Brot! Still deinen Hunger! Lass eine Quelle aus den Steinen sprudeln! Stille deinen Durst!“ geantwortet hat. Da braucht‘s keinen Teufel, keinen Satan und keinen Verführer. Die eigene Stimme wird sich bei Jesus ständig  gemeldet haben: „Beende doch dein Elend! Iss und trink!“ Wenige Tage vorher hatte sich doch die Stimme aus dem Himmel bei seiner Taufe gemeldet und klar gemacht: „»Du bist mein geliebter Sohn, über dich freu ich mich von ganzem Herzen.«

Warum sitzt Jesus mitten in der Wüste und weshalb kasteit er sich selbst volle 40 Tage lang? Am Aschermittwoch, der ja in diesem Jahr gleichzeitig Valentinstag gewesen ist, hat für viele Christinnen und Christen die Fastenzeit begonnen. Die wenigsten gehen in die Wüste – niemand geht freiwillig in die Wüste, wenn er oder sie nicht muss. Nur wer vor Krieg flieht, vor Raketen und vor Kugeln, vor Gewalt und aus Angst ums Überleben, und wer nicht anders kann, ja der und die mag in die Wüste ziehen. Freiwillig geht Jesus wohl auch nur, weil er nicht wusste, was jetzt. Wohin soll er nach seiner Taufe gehen? Wie wird es mit seinem Leben weitergehen? Er steckt in einer großen Lebenskrise – Krisis als Möglichkeit, als Weggabelung, als ein einschneidender Wendepunkt seines Lebens. Und mit wem sollte er da bei seinen Fragen sich auch beraten: Was soll jetzt weiter geschehen? Seine Eltern Maria und Josef hätten ihm womöglich geraten, zu heiraten, den Tischler- und Holzverarbeitungsbetrieb einmal zu übernehmen, Kinder zu bekommen. Seine Brüder hätten ihm wohl geraten, sich nicht so dumme Fragen zu stellen. Das Leben ist kein Wunschkonzert. Du kannst dich ja taufen lassen, wenn du der Panikmache des Täufers Johannes glauben magst. Aber dann geh wieder heim und arbeite brav weiter und mach der Familie keine Schande. „Danach wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel verführt zu werden.“

Wenn wir schwierige Entscheidungen zu treffen haben, wenn ich merke, da tut sich etwas ganz Neues auf in meinem Leben, dann brauch ich Zeit. Dann sollten wir uns doch Zeit nehmen und nachdenken, ohne Ablenkungen einfach mal nur ganz tief hineinspüren, was wir fühlen, wie wir denken, welche Gedanken auftauchen, welche Fragen sich herausschälen und schließlich – wir müssen die Ohren spitzen, die Lauscher aufsperren, ganz ganz genau hinhören: Was will Gott denn eigentlich womöglich von mir? Vierzig Tage und vierzig Nächte sind da doch eine gute Zeit.

Wie großartig wäre es, wenn wir alle, Kinder, Jugendliche, Erwachsene uns solche Auszeiten nehmen könnten. Um wirklich gute Entscheidungen fällen zu können, müssen wir zu uns kommen, um Gott ein wenig näher zu kommen. Zu Jesus kommt, so beschreibt es Matthäus, nicht Gott, sondern der Teufel gibt sich ein Stelldichein. Mit verführerischer Stimme will er Jesus auf den leichten Pfad locken. Er unterbreitet ihm drei Angebote. Und nicht nur drei Angebote macht er ihm, sondern drei unschlagbare Angebote. So wie TEMU oder AMAZON oder andere Handelsmagneten will er Jesus locken, verlocken. Gute Werbung setzt beim Bedürfnis des Konsumenten an. Also lädt der Satan Jesus ein, seinen Hunger zu stillen. Und wir können nachlesen, dass Jesus großen Hunger gehabt hatte. „Da trat der Verführer an ihn heran und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, dann sag diesen Steinen da, sie sollen zu Brot werden.“ Zuerst packt er den jungen Mann bei seiner Ehre: Wenn du der bist, der du behauptest, dass du bist, na dann. Mach aus diesen Steinen Brot. Ob Vollkorn oder Mazzes, gesäuert oder ungesäuert, egal. Mach Brot daraus und dann werfe ich, der Satan, mich vor dir nieder.

Wie verführerisch muss das in seinen Ohren geklungen haben, nach 40 Tagen Hunger und Durst, nach dreißig Jahren ohne besondere Aufmerksamkeit seitens seiner Mitmenschen. Wer war dieser Jeschua, Sohn von Josef aus Nazareth, denn schon, ein Unbekannter, ein Suchender, ein vom Schicksal oder von Gott  Hin- und Hergeworfener.

Aber Jesus hat sich taufen lassen. Jesus hat klar entschieden, sein Leben ganz und gar in Gottes Hände zu legen. Und Jesus hat erlebt, wie Gottes Geist, diese spürbar unbändige Kraft, in ihm mächtig aller Verführung die Stirn bietet. Der Geist führt Jesus in die Wüste. Da weiß er ganz einfach, dass es jetzt das Richtige ist. Und der Geist Gottes macht ihn stark, lässt ihn seinen Hunger nicht vergessen, aber er kann weiterhin klar denken. Und Jesus entgegnet auf das verlockende Angebot: „Es steht geschrieben: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“

Wie baff muss der Teufel da dreingeschaut haben. Ein Mensch, der Hunger und Durst leidet, wird doch wohl auf die Einladung essen zu können, einsteigen – oder nicht? Was ist bloß los und falsch mit diesem Jesus aus Nazareth? Warum Jesus hier nicht als erste Wundertat kein Brotwunder wirkt, können wir nicht wissen. Wenig später soll er laut den Aufzeichnungen des Lukasevangeliums bei einer Hochzeit aus ungenießbarem Wasser zum Waschen des Körpers den besten Wein gezaubert haben. 

Jeses bringt den Satan jedenfalls zum Staunen. Denn er verweigert sich zum ersten Mal. Als zweites verlockendes Angebot führt der Satan Jesus auf die hohen Zinnen des Tempels in Jerusalems. Nach einem Bericht des römischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus aus jener Zeit war das Tempelgebäude damals an die 45-50 Meter lang und 54-60 Meter hoch. Und Flavius bezeichnet den Tempel in Jerusalem als „eines der großartigsten Bauwerke, von denen man je gehört hat.“ Ein Körper würde aus dieser Höhe etwa 3,5 Sekunden fallen und mit 130 km/h aufschlagen. Und wieder packt der Teufel Jesus bei seiner Ehre: „Wenn du Gottes Sohn bist, dann stürze dich hinab.“ Wenn du dich traust, wenn dir jemand glauben soll, dann spring. Das hören wir doch so oft. Wenn sie das oder jenes wären, dann würden sie doch. Hopp oder dropp. Nur es sind im Leben immer noch dritte und vierte Möglichkeiten da. Wir dürfen uns nur nicht weismachen lassen, dass es nur zwei Optionen gäbe. Und der Teufel geht auf das Spielchen von Jesus ein und sagt zu ihm: „Steht nicht geschrieben: Seine Engel ruft er für dich herbei, und sie werden dich auf Händen tragen, damit dein Fuss nicht an einen Stein stosse.“

Wenn Gott nur das Beste für dich im Sinn hat, wenn dich Gott liebt, als seinen Sohn, sein Kind, und wenn Gott immer auf dich achten möchte, dann würde Gott dich doch nicht mit 130 km/h auf dem harten Steinboden aufschlagen lassen? Was wäre das denn für ein Gott, der seine Kinder nicht retten kann oder nicht retten will? Durch irgendwelche Zufälle könnte Gott deinen Fall abbremsen, dein Leben retten, wenn Gott es nur will, sollte das doch auch geschehen. Ja, geben wir es doch zu. Es ist verführerisch, so zu denken. In der ganzen Szene sind alle in Versuchung. Der Satan ist verführt, Jesus zu verführen, der Gott verführen soll und das Ganze soll uns verführen, auf eine Spur führen, anders über die Beziehung von Gott und Jesus nachzudenken. Jesus zeichnet sich durch eine besondere Eigenschaft aus, die mir immer schon als Kind imponiert hat. Er tanzt nie nach der Pfeife anderer. Jesus geht seinen Weg und weiß von Anfang an, es wird kein leichter sein. Er wird steinig und schwer und ist tödlich.

Der Teufel, Satan, Widersacher ist kein Abziehbild des Bösen, wie es so oft in schlechten Romanen, Filmen, Serien oder theologischen Auslegungen vorkommt. Das Leben funktioniert nicht nach dem Hell-Dunkel-Prinzip. Da hat kein Schwarz-Weiß-Denken Platz. Es bedient im Prinzip kein Gut-Böse-Schema. Hier eröffnen sich unendlich viele Graubereiche, die der Satan hier immer wieder präsentiert. Ich mag versuchen, mit meinem freien Willen, das Gute und Richtige zu tun, aber ich werde und muss immer daran scheitern, nur Gutes zu bewirken. Alle meine Handlungen und alles, was ich nicht tu, wird zu guten, schlechten, unabschätzbaren Folgewirkungen führen. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“ Wir sollen mit Gott keinen Handel treiben: „Wenn ich dies tue, dann erwarte ich mir, dass …“ So funktioniert es nicht zwischen Gott und mir – auch nicht im Bereich des Fastens und der Kasteiung und der Enthaltsamkeit. Für Gott tun wir solche vermeintlichen Pflichtübungen nicht. Wir tun es immer nur für uns.

Durch die Abkehr von zu viel Genussmitteln, zu großer Schlemmerei, zu viel Konsum von Medien mag es gut, ja heilsam sein, andere Wege zu probieren.  Das 40-Tage-Wüstenprogramm ist zugegeben etwas heftig und radikal. Aber bei Jesus hat es gewirkt. Er ist dadurch noch stärker, bewusster, selbstbewusster geworden. So hat es zumindest den Anschein.

Und ein drittes Mal möchte der Satan Jesus verführen. Gut, deinen Hunger willst du nicht stillen. Du willst dich auch nicht in Gefahr bringen und Gott auf die Probe stellen. Vielleicht steckt hier auch der Gedanke dahinter: Ich selbst würde gerettet werden, sicherlich würden Engel herbeieilen und mich vor dem sicheren Tod bewahren. Aber noch mehr braucht es die Einstellung bei allen Menschen, sich vor Gefahren zu schützen, vor Schaden zu bewahren, und schlimmen Schaden versuchen zu heilen. Also stellt der Satan Jesus vor die ultimativ verlockende Wahl: Los, greife nach der Macht! Steht dir die Herrschaft über alle Welt, alle Staaten nicht von Geburt an zu?

„Wieder nimmt ihn der Verführer mit auf einen sehr hohen Berg und zeigt ihm alle Königreiche der Welt und ihre Pracht. Und er sagt zu ihm: Dies alles werde ich dir geben, wenn du dich niederwirfst und mich anbetest.“

Greif zu, nimm dir, was du willst. Verlockt es dich nicht, einen Tag der Herrscher dieses Planeten zu sein? Jesus wirft sich nicht nieder und betet auch niemanden an. Wir sollen uns nicht niederwerfen, vor niemandem, und niemanden außer Gott anbeten und anrufen und niemandem außer Gott Gewalt über unser Leben zugestehen. Egal, was uns auch angeboten wird, wir sollen niemals so tief sinken, uns anderen zu Füßen zu werfen. Klar kann eine eigene Meinung dazu führen, verfolgt, diskriminiert, ja sogar eingesperrt und umgebracht zu werden. „Da sagt Jesus zu ihm: Fort mit dir, Satan. Denn es steht geschrieben: Zum Herrn, deinem Gott, sollst du beten und ihm allein dienen.“ Mir imponiert auch, seitdem ich es begreife, diese unnachgiebige Haltung, keiner Person und keiner Macht Herrschaft über mein Leben zuzugestehen. Nur Gott, Gott allein, verdient es, dass ich in so einer Hierarchie auch nur denke. Und es geht niemals nur um das Ich sondern immer auch um das Wir.

Jesus will nicht seinen eigenen Hunger und Durst stillen, sondern den Durst von Tausenden und Millionen Menschen, die es hungert und dürstet. Wie ums leibliche können und sollen wir uns alle gegenseitig auch ums seelische Wohl kümmern. „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Diese simple Botschaft gibt Jesus seinen Nachfolger*innen, wenn man sich fragt, wie der Hunger in der Welt zu beenden wäre. Jesus ist wie das Brot, das wir zum Essen brauchen. Seine Worte und sein Leben und seine Auferstehung stärken uns, leiten uns.

A: Du bist gefährlich.
B: Warum?
A: Weil du mich das Unmögliche glauben lässt.

Amen