Harald Kluge: “Mit Freundlichkeit und Menschenliebe” Titus 3, 4-8

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2 Kein Christ darf gehässig über andere reden oder gar Streit suchen. Er soll vielmehr jedem freundlich und liebevoll begegnen. 3 Vergessen wir nicht: Auch wir waren früher unverständig und Gott ungehorsam. Wir gingen in die Irre und wurden von allen möglichen Wünschen und Leidenschaften beherrscht. Bosheit und Neid bestimmten unser Leben. Wir hassten andere, und andere hassten uns. 4 Aber dann wurde die Güte und die Freundlichkeit Gottes, unseres Befreiers, und seine Liebe zu uns Menschen sichtbar. 5 Er rettete uns – nicht weil wir etwas geleistet hätten, womit wir seine Liebe verdienten, sondern aus lauter Güte.

In seiner Barmherzigkeit hat er uns zu neuen Menschen gemacht, durch eine neue Geburt, die wie ein reinigendes Bad ist. Das wirkte der Heilige Geist, 6 den Gott uns durch unseren Retter Jesus Christus in reichem Maße geschenkt hat. 7 So sind wir allein durch seine Gnade von aller Schuld befreit. Als seine Kinder und Erben dürfen wir jetzt die Hoffnung auf das ewige Leben haben. 8 Das steht unumstößlich fest. Ich will, dass du dies alles mit Nachdruck weitergibst. Denn alle, die zum Glauben an Gott gefunden haben, sollen sich darum bemühen, Gutes zu tun. Das ist nützlich und hilfreich für alle Menschen.

Titus 3, 2-8

Liebe Gemeinde! „Die Güte und die Freundlichkeit Gottes, unseres Befreiers, und seine Liebe zu uns Menschen wurde sichtbar.“

Haben Sie schon einmal einen gütigen Menschen getroffen? Hat Sie schon einmal jemand mit Freundlichkeit bezaubert? Haben Sie die LIEBE so richtig richtig spüren dürfen, so dass Sie ganz erfüllt waren von Schmetterlingen im Bauch? Die Redewendung gibt es ja, weil Schmetterlinge das Ungeziefer sind, das eigentlich immer willkommen ist.

Wer Güte erlebt hat, einen gütigen offenen freien Akt von Selbstlosigkeit, wird sie nicht vergessen. Mir fällt da meine Reise mit Interrail vor 35 Jahren ein. Ich war von Paris nach Athen zu meiner Schwester unterwegs, die dort lebte. Auf meiner Reise ist mir das Geld ausgegangen und ich konnte im Zug ab Norditalien nichts kaufen, hatte schrecklichen Durst und Hunger. Dass ich als Interrailer gestunken hab nach zwei Tagen ohne Dusche on the railroad, war da schon egal. Aber ich konnte gratis mit dem Zug fahren, durch ganz Europa. In Mittelitalien, auf dem Weg zur Fährstation in Bari, konnte man mir das Hungergefühl und den Durst wohl ansehen. Da hat mir ein kleiner Junge, vielleicht 6 Jahre alt, mit Gesten und italienischen Sätzen seine Colaflasche angeboten und dazu zwei Äpfel. Seine Eltern waren richtig stolz und ich war dankbar, mille grazie, mille grazie. Heute weiß ich, dass man grazie mille sagt. Hier habe ich Gastfreundschaft – ich war in ihrem Land – und Güte erlebt. Dafür bin ich dankbar, weil ich dadurch meine Schwester nach sehr langer Zeit wiedersehen durfte. Und immerhin hatte sie in der Zwischenzeit geheiratet. Aber das ist eine andere Geschichte. 

Güte merkt man sich ein Leben lang. Und gütige Menschen gibt es nicht so viele. Güte bezieht sich hier in diesem kurzen Brief und im Neuen Testament auf das griechische Wort „chrestótes“. Da steckt sozusagen fast das gesamte christliche Programm drin.Freundlichkeit, Vorteilhaftes, Güte und Milde. Damit wurden die meisten Menschen überzeugt, dass Christsein eigentlich eine gute Sache ist – gut, weil es auf das Gute hin ausgerichtet ist. Im Zentrum steht Gott, das Gute, Güte. Die Mildtätigkeit und Menschenfreundlichkeit vieler Christusanhängerinnen und -anhänger waren und sind legendär und spektakulär. Aber selbstverständlich gibt es diese Eigenschaften und Verhaltensweisen unabhängig von Konfession und Religion und Weltanschauung. Ja, eigentlich haben die nichts miteinander zu tun.

Christliche Typen gaben sich von Beginn der ersten Erzählungen an scheinbar große und immer wieder Mühe, selbst ihren Feinden zu vergeben. Das muss man sich einmal vorstellen. Heute greifen sich viele dabei an den Kopf, schütteln ihn, pusten. Kein schlechtes Wort, keine Bosheit und Boshaftigkeit. Sondern im Gegenteil Wahrhaftigkeit, Wahrheitstreue waren die Eigenschaften, die in christlichen Kreisen hochgehalten wurden. Das hat man sich auf die Fahnen geheftet. Bis zu den Kreuzzügen, oder davor den missionarischen Eroberungsfeldzügen, oder davor … es ist schrecklich, wie die christliche Grundbotschaft verdreht, verbogen wurde, wie verlogen man betrogen hat unter dem Zeichen des Kreuzes. Die schlimmsten Dinge wurden und werden bis in unsere Zeit anderen angetan, auch Kindern und Jugendlichen, mit dem „christlichen Gütesiegel“. Es ist zum Kotzen und zum Rearn, wenn man sich das anschaut. Aber das macht die Botschaft an sich nicht schlecht.

Dass diese Anstrengungen, Gutes zu tun und zu dichten und zu sagen, nicht immer von Erfolg, womöglich selten zu Erfolg geführt haben, dafür gibt es diesen Brief. Neben der „philanthropía“, sprich der Menschenliebe, und der „anoché“, der Geduld, dem Ertragen und dem Aushalten, stand „chrestótes“ als Wunsch für die Art, das Leben zu führen, in einer Art Trias, Dreiheit. Bei der Freundlichkeit, „chrestótes“ sind aber nicht nur ein freundlicher Blick und ein freundliches Wort gemeint. Das ist ja oft aufgesetzt und unehrlich. Die Freundlichkeit, die Jesus meint, ist nicht nur, nett zu sein. Es ist eine Wesensart. Die Idee ist, dass wir durch den Heiligen Geist, durch diese Kraft, mit der uns Gott berühren will, die er über uns ausschüttet, eine Wesensänderung durchmachen.

Gott hat so ein Stückchen seiner und ihrer „Freundlichkeit“ und „Menschenliebe“ runter auf die Erde geschickt. Philanthropie will gut überlegt und geplant sein. Auch das wird hier beim Titusbrief propagiert. Gastfreundlich sollen wir sein, hilfsbereit, anderen aus der Patsche helfen. Einen Patschen hat man ja bei uns, wenn ein Reifen ein Loch hat und man nicht weiterkommt. Warmherzig sollen wir sein, fürsorglich, bemüht um andere, um die Tiere, die Pflanzen, den Planeten, die Luft und den Himmel. Wie bei „chrestótes“, der Freundlichkeit, geht’s um eine innere Einstellung, eine Wesensart.

Aber machen wir uns nichts vor: Einbildung ist keine Bildung.  Das sind alles schöne, hohe, verträumte Ideale. In der Apostelgeschichte etwa wird die Philanthropie ganz konkret als die Gastfreundschaft und Aufnahme von Schiffbrüchigen bezeichnet. Männer, Frauen und Kinder in Seenot sollen vor dem Ertrinken gerettet und gastfreundlich aufgenommen werden. Das denke ich mir jetzt nicht aus, sondern das sind eindeutige Erzählungen, die mir als Handlungsanweisungen für mein Leben gelten können. Unterdrückte und Übervorteilte zu beschützen steckt da ebenso drin wie die Nachsicht mit den Irrenden, die irrige Behauptungen aufstellen, zumindest in meinen Augen. Die Christusanhängerinnen und -anhänger dürfen nicht nachtragend sein. Und wenn wir es sind, sollen wir uns schämen, und wenn wir uns schämen, sollen wir das nächste Mal anders handeln. Die Menschenfreundlichkeit Gottes lässt sich durch die gesamte Bibel hindurch entdecken. Da und dort ist sie durch schwarze Pädagogik überlagert worden. Aber mit feinem Blick erkennen wir, dass Gott es immer gut mit uns meint. „Ich meine es ja nur gut mit euch!“ Das klingt zwar ein wenig besorgniserregend, so ein Gottesbild ist fürchterlich: Ich meine es ja nur gut mit dir – suggeriert meist genau das Gegenteil. Es wird benutzt, um das Schlimmste damit zu rechtfertigen. Ich setze dich unter seelischen und psychischen Druck – aber ich meine es ja nur gut mit dir.

Ich stelle dir unlösbare Aufgaben – aber ich meine es ja nur gut mit dir.

Du erlebst die schrecklichsten Dinge und durchlebst schlimme Schmerzen – aber Gott meint es nur gut mit dir.

Wir wollen euch nichts Böses, aber wenn ihr euch nicht alle taufen lasst, sperren wir euch ein, oder tun euch weh – aber wir meinen es ja nur gut mit euch.

So will ich es mir nicht vorstellen. Gott meint es nur gut mit uns. Meint es nur gut mit mir. Deshalb steht hier auch etwas von Befreiung. Die Güte, die Freundlichkeit, die Menschenliebe unseres Befreiers und die Liebe sind in Jesus sichtbar. Das wird als wahrhaftige Errettung gepriesen und angeführt.

Und nichts davon haben wir verdient – müssen wir verdienen. Selbst mit unseren schlimmsten Taten stößt uns Gott nicht für immer von sich fort. Wir sind unverständig, wir irren uns, täglich, stündlich. Das ganze Leben besteht aus Wünschen, Sehnsüchten, und uns steuern mal mehr mal weniger unsere Leidenschaft und unsere Begierden. Da sind wir mehr Tier als Mensch. Neid, Gier, Boshaftigkeiten kennen wir alle, haben wir erlebt und haben durch uns andere Menschen erlebt.

Machen wir uns nichts vor – müssen wir auch nicht mehr. Und das schlimmste ist die hassverzerrte Fratze, die wir äußerlich oder innerlich aufsetzen.

Die Band DÖF Deutsch-Österreichisches Feingefühl hat vor 40 Jahren einst gesungen: „Seit 2.000 Jahren lebt die Erde ohne Liebe.

Es regiert der Herr des Hasses.

Hässlich, ich bin so hässlich, so grässlich hässlich: Ich bin der Hass!

Hassen, ganz hässlich hassen, ich kann′s nicht lassen: Ich bin der Hass!“

Und dann kommt in dem Song CODO – ein Außerirdisches Lebewesen, Liebeswesen auf die Erde.

Codo, was laut dem Texter Joesi Prokopetz eine Abkürzung für „Cosmischer Dolm oder auch Cosmischer Depp“ ist, war für die Sängerin Inga Humpe hingegen „ein außerirdisches Wesen ohne bestimmtes Geschlecht, das den Hass überwindet und uns verstressten und negativ eingestellten Menschen alles bringt, was wir vermissen: gute Laune, Witz, Charme und vor allem Liebe“. Dieser bringt gegen den Widerstand des „Herrn des Hasses“ die verbotene Liebe wieder zur Erde zurück.

Eigentlich doch ein schöner Widerspruch. Der kosmische Dolm bringt die Liebe mit von seinem Himmelsritt.

„Und ich düse, düse, düse, düse im Sauseschritt

Und bring’ die Liebe mit von meinem Himmelsritt.

Denn die Liebe, Liebe, Liebe, Liebe, die macht viel Spass,

Viel mehr Spass als irgendwas.“

Wer mag dem widersprechen? Es klingt kitschig, ja kindisch. Prokopetz selbst hat gesagt: „Das ist so ein dummes und kindisches Lied, das wird niemand wollen und niemand spielen.“ CODO wurde ein riesiger Erfolg.

Denn nichts wünschen wir uns mehr – als Liebe, Verständnis, Güte und das alles. Das steckt doch tief in uns drin. Das hat – können wir sagen – Gott da in uns angelegt. Bei manchen offensichtlicher als bei anderen. Und Paulus hat mit seinem Brief an den Titus und seinen vielen Reisen und Reden das unterstützen wollen. Chrestótes und philanthropía und anoché. Freundlichkeit, Liebe und geduldiges Mittragen gegenüber allen Wesen dieser Welt. Der Motor dabei ist der Heilige Geist, der uns da voranbringen wird, die nötige Energie gibt.

Und manchmal fühlen wir uns vielleicht wie Kinder dabei, wie Anfänger, wenn wir gastfreundlich sein wollen. Manchmal geben wir uns hingegen schon wie Profis und Erben, die es kapiert haben, wie das geht, Mitmenschlichkeit. „Als Kinder und Erben dürfen wir jetzt die Hoffnung auf das ewige Leben haben.“

„Das steht fest, unumstößlich“, schreibt Paulus und hoffen wir mal, er hat recht. Wer Jesus  begegnet, wird verändert. Ob wir ihm als Baby in der Krippe, in dem Futtertrog, dem Fressnapf, begegnen oder ihn dann als 30jährigen sehen und er uns zum Staunen bringt. Gutes tun zu wollen, das innere Bedürfnis dazu zu verspüren ist ein gesundes Gefühl und das dürfen wir uns jedenfalls nie nehmen lassen. Es ist nützlich und hilfreich für alle Menschen und damit ist es ganz im Sinne des Erfinders und großen Schöpfers.