Harald Kluge:
„Zu lange schon habe ich geschwiegen!“
Jesaja 42, 10-17

Der ganze Gottesdienst auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=VtH__oW2jHo

10 Singt dem HERRN ein neues Lied und rühmt ihn überall auf der Welt. Besingt ihn, ihr Seefahrer und alles, was im Meer lebt! Preist ihn, ihr Inseln und seine Bewohner!
11 Auch die Wüste und alle, die dort leben, sollen in das Lied mit einstimmen. Singt und jubelt, ihr Beduinen von Kedar! Ihr aus dem Bergland, steigt auf die Gipfel und jubelt ihm zu!
12 Ihr alle – gebt dem HERRN die Ehre und verkündet selbst auf den fernsten Inseln seine ruhmvollen Taten!
13 Der HERR zieht in den Krieg wie ein Held. In aller Entschlossenheit rüstet er sich zum Kampf. Dann erhebt er sein lautes Kriegsgeschrei und zwingt seine Feinde in die Knie.
14 »Zu lange habe ich geschwiegen«, sagt der Herr.
»Ich blieb ruhig und hielt mich zurück.
Aber jetzt kann ich nicht mehr an mich halten.
Nun schreie ich auf wie eine Frau in den Wehen, ich keuche und schnappe nach Luft.
15 Berge und Hügel lasse ich austrocknen, alle Pflanzen darauf verdorren. Die Flüsse und Sümpfe sollen versanden und zu festem Boden werden.
16 Mein blindes Volk werde ich auf Straßen führen, die sie nicht kennen, und neue Wege mit ihnen gehen. Ich mache die Dunkelheit um sie her zum Licht und räume die Hindernisse beiseite. Das alles werde ich tun, und nicht mehr davon ablassen.
17 Aber alle, die ihre Hilfe von einer selbst gemachten Statue erwarten und zu ihr sagen: ›Du bist mein Gott‹, werden beschämt die Flucht ergreifen.«

Jesaja 42, 10-17

Liebe Gemeinde!

Wissen Sie worauf ich mich im Advent mit am meisten freue?

Auf einen ganz speziellen Adventkalender, den esoterischen Adventkalender der Tageszeitung Der Standard.

In seinem Gastblog vom ersten bis zum 24. Dezember öffnet der Journalist Christian Kreil mit seinem Esoterik-Adventkalender Tag für Tag ein Türchen, das einen Blick in das lodernde Unlicht freigibt, wie er schreibt.

Wenn ich boshaft wäre, würde ich sagen: Der Kalender schenkt mir einen Einblick in das Unlicht der Unterbelichteten und der Schurken dieser Welt, die es besonders bunt treiben. Schindluder treiben mit den Hoffnungen und tiefen Wünschen von uns Menschenskindern.

Da werden von Herrn Kreil mit spitzer Feder & Zunge ganz besondere Angebote aus dem großen kommerziellen Reich der Esoterikindustrie unter die Lupe genommen.

Und es ist zum Schreien, zum Aus-der-Haut-fahren, zum Niederlegen.

Etwa gibt es das Globuli-Bier mit der Potenz des gesamten Universums. Eine Homöopathiemanufaktur im Burgenland bietet Bier-Globuli an. Sie haben auch Fläschchen mit heilender Fledermausmilch, der Milch des Schäferhundes, der Milch des Kängurus, des atlantischen Flaschennasendelphins, des Afrikanischen Elefanten und auch die Milch der Gattin des Königs der Löwen im Programm.

Ein anderes Adventtürchen gibt den Blick frei auf das großartigste Produkt in Zeiten der Heizkostenteuerung: Es gibt sie, die Glaskugel zur Wärmeregulierung. Um nur EUR 330 bekommen Sie eine Glaskugel, die es für EUR 10 beim Baumarkt gibt, mit der Sie wie mit einer Klimaanlage die Wohlfühltemperatur in Ihren Räumen schaffen. Ganz ohne Stromanschluss, ohne fossile Energien, kein Öl, keine Fernwärme, kein Lagerfeuer oder anderes, allein aus der Nullenergie des Raumes wird Ihnen wohlig warm auf bis zu 10 m.

Menschen kaufen auch ganz sehnsüchtig das Perpetuum Mobile der Energieproduktion: Der kleinste Stromgenerator der Welt – Andrea Rossis „Energiewürfel“ SKLep schöpft Strom allein aus der Nullpunktenergie, die angeblich Tesla vor mehr als 100 Jahren nachgewiesen haben soll. Die NASA habe es 2005 angeblich bestätigt. Strom aus dem Nichts um nur EUR 295.

Es gibt wohl nichts, woran wir Menschen nicht zu glauben bereit sind. Gut genug vermarktet und beworben kaufen wir den größten Unsinn und wählen ja auch Personen, denen man für die Zukunft nicht das Beste zutrauen kann.

Besonders angetan hat es mir unter den adventlichen Überraschungen der Skalar Chembuster® Unity MS um läppische EUR 2.515,97.

Dieser Stab, der aussieht wie ein Klobesen in Marmor gegossen mit einem 50 cm langen Kupferrohr, stylish für jeden Garten geeignet, schafft es, Sie vor Unwetter zu schützen.

„Durch die fokussierte Neutrino Erhöhung in der Atmosphäre werden Überladungen und energetische Stagnationen effektiv harmonisiert und ausgeglichen“, wird dieses Wunderding etwa beworben. Die durch unsere einzigartige Bauweise gesammelten Raumenergien werden durch das Kupferrohr gezielt in einen Bereich in der Atmosphäre gelenkt, um dort die höchst mögliche Entstörung dieser technischen Einflüsse zu erreichen. Nachweisbar seien die Effekte des Skalar Chembuster Unity MS:

Abschwächung & Reduzierung von Unwettern
Ausbalancieren des Wetters in deiner Umgebung
Ein sanfterer Regen
Mehr Licht & Sonnenstunden
Natürlichere Wolkenbildung (Cumulus)
Natürlichere Winde durch Leyline Akupunktur
Erhöhung des Insekten- und Vogelaufkommens
Erhöhung des Pflanzenwachstums rund um den Buster

„Alle, die ihre Hilfe auf selbstgemachte Statuen und Bilder und Kügelchen und Wunderapparaturen setzen, werden sich einmal beschämt zurückerinnern, an welchen Humbug sie einst geglaubt haben.“

Wer macht denn das Wetter?

Wer hat die Hügel und Berge in ihre Form geschoben?

Wir brauchen kein neues Lied, keine abstrusen neuen Heilsangebote, die allein auf den Gutglauben der Käufer setzen – sondern die alten Psalmenlieder erklären uns die Welt und wie wir Menschen ticken auf wunderbare Weise.

Setzen wir doch unsere Hoffnung mehr auf die Geschenke, die Gott uns gegeben hat. Unsere Vernunft, unser Denken, unsere Gefühle, unseren Glauben, die Liebe und die Hoffnung.

Beim Öffnen der Adventtürchen des esoterischen Kalenders bin ich jeden Tag überrascht, wie viel Unfug verbreitet wird, der mich zum Schmunzeln, zum Nachdenken und zum Nachfragen bringt.

Warum glauben Menschen an diese Dinge oder etwa daran, dass Gebete zur Heilung einer Krankheit beitragen können, oder zur Heilung und Verbesserung von Beziehungen führen könnten?

Wir sehnen uns danach, dass sich die Dinge zum Besseren entwickeln.

Und wenn ich einem Arzt per Mail in Deutschland meinen Wunsch zur Heilung gewisser Beschwerden zuschicke und dazu ein paar Euro überweise, folge ich damit seinem Ruf und meinem tiefsten Wunsch, gesund zu werden. Es könnte ja wirken … Der Arzt schickt mir postwendend per Mail einen QR-Code, mit dem ich, wie er schreibt, mein Wasser aufladen kann und dadurch würde ich geheilt, gereinigt und mir allgemein mehr Wohlbefinden zuteil.

Sauerei, Betrug! Das ist ein mieses Abcashen mit den Hoffnungen kranker, unsicherer, ungebildeter Menschen. Spielt da nicht ein mieser Betrüger mit der Sehnsucht nach Heilung?

Aber ist diese Sehnsucht nicht ehrlicherweise nachzuvollziehen?

Es gibt so viele Grauslichkeiten in der Welt, dass ich mir mein Umfeld und mich selbst gerne wohlig und warm und möglichst gesund und sicher einkuscheln will in meine flauschige Winter-Comfort-Decke, am besten mit einer Tasse Kräutertee und ein paar köstlichen Keksen vom Henriettenmarkt.

Oft reicht es doch anscheinend zuzuwarten, und die schlimmsten Nachrichten gehen vorüber. Es verschwinden dann zwar nicht die Geschehnisse an sich und das Morden und die Gewalt und die Betrügereien und Boshaftigkeiten gehen munter weiter. Aber es reicht, wenn nicht so viel darüber berichtet wird.

Und wenn Gott, sich schon nicht zu Wort meldet und scheinbar nicht eingreift, muss ich ja auch nicht immer auf Abruf ein Gutmenschentum forcieren.

„Zu lange schon habe ich geschwiegen.“

Das hat Gott mehrmals in der Bibel gesagt.

„Zu lange habe ich geschwiegen.“

Das ist der Gedanke, der Frauen dazu bringen kann, sich einzugestehen und zu sagen: Er hat mich gedemütigt, erniedrigt und in letzter Zeit hat er kein Wort mehr mit mir gesprochen. Ich halte seine kühle abweisende Art nicht mehr aus. Ich kann kaum noch atmen, schlafen eh schon länger nicht mehr neben ihm. Eigentlich sollte ich jemandem davon erzählen, dass er mich daheim einsperrt und mich schlägt, wenn ich nicht alles so tue, wie er es will…

„Zu lange habe ich geschwiegen.“

Eigentlich darf mich mein Vater nicht anschreien, nicht ständig nur niedermachen und schon gar nicht schlagen.

„Zu lange habe ich geschwiegen.“

Es war damals zur Zeit des Propheten Jesaja vor gut 2.700 Jahren auch kaum auszuhalten. Krisen, Katastrophen, feindliche Konflikte, ständig konnte das letzte Stündlein geschlagen haben. Und was hatten die meisten Leute im Sinn?

Nicht das Wohlbefinden des Nächsten, nicht das gemeinschaftliche Miteinander. Sie haben einander beschimpft, versucht zu übervorteilen, ausgebremst, gegenseitig das Leben schwer gemacht und bei all dem ihren selbstgemachten Göttern gehuldigt.

„Ich bin ruhig geblieben und habe mich zurückgehalten.  Aber jetzt kann ich nicht mehr an mich halten.“

Es geht in der Geschichte auch um die Menschen in der Wüste und die Seefahrer und alle, die mit dem Meer, nahe dem Meer, an den Küsten und Stränden leben.

Und wenn wir die letzte Klimakonferenz, die zum Teil an Absurdität nicht zu überbieten ist, ansehen, gab es hier diesen einen feinen Moment, wo für jeden merkbar offensichtlich wurde: Auf die gefährdetsten und am schlimmsten mit betroffenen Länder und Gebiete, die Pazifikstaaten, wird am wenigsten Rücksicht genommen.

Die besonders vom steigenden Meeresspiegel bedrohten Inselstaaten fühlen sich übergangen. Eine Vertreterin Samoas hat kritisiert, dass sich vor dem Plenum mit der Verlautbarung des Schlussdokuments in Dubai die Gruppe der Inselstaaten sich noch koordinieren hat müssen. Sie seien, Schelm wer was Böses denkt, nicht rechtzeitig gerufen worden und deshalb nicht im Raum gewesen, um direkt Stellung zu beziehen.

“Wir können nicht auf unsere Inseln zurückkehren mit der Botschaft, dass dieser Prozess uns betrogen hat”, sagte die Vertreterin Samoas. “Die Kurskorrektur, die wir brauchten, ist nicht erreicht worden.” Ihr Untergang scheint besiegelt.

Der Prophet Jesaja, oder ein Prophet in seinem Namen, schreibt bereits:

„Besingt den Herrn, ihr Seefahrer und alles, was im und alle, die ihr am Meer lebt! Preist ihn, ihr Inseln und seine Bewohner!“

Dieses Bild der seefahrenden Völker passt gut zu jedem Projekt, das man anpacken möchte, wie etwa die Beseitigung von Krisenauswirkungen.

„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“

Dieses dem französischen Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry zugeschriebene Zitat ist beliebt. Nur ist es leider falsch und funktioniert nicht, wenn es um größere Projekte geht. Niemanden bringt die Sehnsucht alleine weiter. Wer bei der Sehnsucht hängen bleibt, will irgendwohin, aber oft bleibt die Frage: Wohin?

Mit dem Gefühl der Sehnsucht lässt sich eines sicherlich gut: abwarten. Ich muss aber Dynamik entwickeln, in die Gänge kommen, loslegen.

Wenn ich die Klimapolitik ändern will, muss ich dafür einstehen und mich engagieren. Wenn ich will, dass sich die Armut verringert, muss ich dafür eintreten.

Wenn ich mich danach sehne, dass Gott doch endlich – Zeit wär`s – die gewaltige Stimme erhebt, muss ich natürlich meine Ohren dafür öffnen.

Wenn ich mir die Ohren zuhalte und mir denke:

„Gott. Ich kann dich nicht hören!“, wird das dann womöglich auch so sein. Ich kann sein Wort nicht hören und nicht darauf hören.

Wenn ich mich danach sehne, dass Gott doch bitte endlich auch etwas tun sollte, eingreifen, wo es wirklich an der Zeit ist. Dann sollte ich meine Augen aufmachen und genau schauen und es sehen wollen, wo und wie Gott wirkt.

Gottes Hände heilen täglich und an allen Orten dieser Erde. Die Ärztinnen und Ärzte und medizinisch, therapeutisch ausgebildeten und pflegenden Menschen wollen über alle Grenzen hinweg Gutes tun, heilen, verbinden, trösten, pflegen.

Gottes Füße tragen andere Menschen, die selbst nicht mehr gut oder gar nicht gehen können.

Die Vision von einer Welt, einer Gesellschaft, von mir selbst beginnt immer zuerst mit dem Wahrnehmen der Not, der Nöte, wie es der Katechismus sagt; des Elends.

Größere Projekte zur positiven Veränderung und Entwicklung beginnen meist mit Ärger oder Frustration.

Auch Gott empfindet zuallererst Riesenärger.

Sein „Zu lange habe ich geschwiegen!“ ist kein kleinlautes „Ich glaub, ich sollt mal was sagen…“ sondern eher ein „Jetzt reicht es mir!“

»Ich blieb ruhig und hielt mich zurück.
Aber jetzt kann ich nicht mehr an mich halten.
Nun schreie ich auf wie eine Frau in den Wehen, ich keuche und schnappe nach Luft.“

Alle, die bei einer Geburt dabei waren, wissen, da bricht sich das Leben und die innere Stimme Bahn. Da ist das Schreien nicht zurückzuhalten. Sich die Schnappatmung bei Gott vorzustellen hat einen gewissen Witz. Und was tut Gott?

„Berge und Hügel lasse ich austrocknen, alle Pflanzen darauf verdorren. Die Flüsse und Sümpfe sollen versanden und zu festem Boden werden.“ 

„Mein blindes Volk werde ich auf Straßen führen, die sie nicht kennen, und neue Wege mit ihnen gehen. Ich mache die Dunkelheit um sie her zum Licht und räume die Hindernisse beiseite. Das alles werde ich tun, und nicht mehr davon ablassen.“

Auch in unserer größten Blindheit, Taubheit, Sturheit führt uns Gott neue Wege entlang, geht sie mit uns.

Wir kennen den Weg wohl noch nicht, aber er wird wunderbar hell sein, und völlig frei von allen Hindernissen.

Und wann wird das sein? Jetzt, immer jetzt ist dieser Moment. Damals war es jetzt bei Miriam & Mose und ihrem Aufbruch mit dem ganzen Volk auf neue Wege hin zu neuen Zielen.

Bei Jesu Geburt und bei all seinem Herumwandern war dieser Moment von Gottes Eingreifen „Jetzt“ und heute ist er auch „Jetzt“.

Wie Johannes seine Anhänger Jesus fragen lässt: Müssen wir noch warten, auf einen anderen warten, abwarten, zuwarten?

Wir müssen niemanden mehr vertrösten, nur noch trösten, ja ganz viel trösten. Aber auch bei uns können „Blinde sehen, Gelähmte gehen, Aussätzige werden geheilt, Taube hören, Tote werden wieder lebendig, und den Armen wird die rettende Botschaft verkündet.“

Sie alle dürfen Anteil nehmen am gemeinsamen Leben. Inklusiv nicht exklusiv, Inklusion statt auszuschließen. Behinderungen, Hindernisse sind aus dem Weg zu räumen, damit alle am gesellschaftlichen, kulturellen, politischen und religiösen Leben Anteil nehmen können. „Ich räume euch die Hindernisse aus dem Weg.“

Nicht weil wir so nett und freundlich und liebenswürdig sind, sondern weil es die Pflicht ist, Menschen ein Recht haben, nicht nur eines, sondern viele Rechte haben.

Lassen wir Gottes Reich noch mehr anbrechen, und lassen Sie uns nicht nur darüber reden, sondern etwas dazu tun. Ein guter Anfang ist es, nicht länger zu schweigen!

AMEN